LAG Nürnberg v. 24.4.2024, 2 Sa 293/23
Schadensersatz wegen verspätet erfolgter Zielvorgabe?
Erfolgt eine Zielvorgabe entgegen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nicht oder zu einem so späten Zeitpunkt, dass ihr keinerlei sinnvolle Anreizfunktion mehr zukommen kann, kann der Arbeitgeber sich schadensersatzpflichtig machen. Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich grundlegend.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin war bei der Beklagten von November 2015 bis Mai 2022 als Account Manager in der Abteilung Sales VW Group beschäftigt. Sie hatte zum 31.5.2022 gekündigt. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin zuletzt ein jährliches Fixgehalt i.H.v. rund 66.634 € brutto. In dem Arbeitsvertrag war zudem eine Bonussystem geregelt. Danach konnten bei Erreichung der Zielvorgaben (Zwei Elemente: Individuelle Ziele und Unternehmensziele) bis zu 26% des gezahlten Jahresgrundgehaltes als Bonusleistung erzielt werden. Eine Vereinbarung über die individuellen Ziele der Parteien war vertraglich erfolgt. Insoweit erreichte die Klägerin einen Zielerreichungsgrad von 84,99%, was einem Bonus von 5.663 € entsprach. Zu keinem Zeitpunkt wurden mit der Klägerin allerdings die unternehmerischen Ziele vereinbart.
Am 16.5.2022 teilte der President E. & CEO allen bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es für das Geschäftsjahr 2021 (= Kalenderjahr 2021) zu keiner Bonusauszahlung kommen werde. Mit Bekanntmachung vom 20.7.2022 teilte die Beklagte ihren bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es nach intensiven Gesprächen mit dem Shareholder, den Stakeholdern im US-Headquarter sowie den Betriebsräten doch zur Auszahlung eines anteiligen Bonus kommen werde. Mit der Abrechnung für August 2022 erhielt die Klägerin 6.663 € brutto. Das war der Betrag, der sich bei Erreichen von 100% der individuellen Ziele ergab und entsprach 38,46% des gesamten Bonus bei 100%iger Zielerfüllung. Eine weitere Zahlung erfolgte trotz Aufforderung durch die Klägerin nicht.
Die Klägerin machte daraufhin für das Geschäftsjahr 2021 einen Bonus i.H.v. 10.661 € brutto geltend. Dabei handelte es sich um den Betrag, der sich bei Erreichen von 100% der Unternehmensziele ergeben würde. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt. Allerdings wurde im Hinblick auf § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG die Revision zugelassen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat einen Anspruch i.H.v. 2.132 € brutto aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag und i.H.v. 8.529 € brutto Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 275, 252 BGB.
Da das mit 20% bewertete Unternehmensziel JSS E. Quality erreicht worden war, ist der Anspruch gem. § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. dem arbeitsvertraglich vereinbarten Bonussystem entstanden. Dieser Anspruch ist auch nicht teilweise durch die Bonuszahlung i.H.v. 6.663 € erfüllt worden. Denn mit dieser Zahlung sollten die Bonusberechtigten so gestellt werden, als hätten sie alle das erste Element des Bonussystems (individuelle Ziele) erfüllt. Die Beklagte traf für ihre Zahlung gerade eine andere Leistungsbestimmung als die Erfüllung des zweiten Elements des Bonussystems (Unternehmensziel). Es war daher irrelevant, dass die Klägerin ihre individuellen Ziele nicht zu 100% erreicht hatte.
Die Klägerin hat zudem einen Schadensersatzanspruch i.H.v. 8.529 €. Die Beklagte hat nämlich ihre arbeitsvertragliche Pflicht schuldhaft dadurch verletzt, dass sie die laut arbeitsvertraglicher Regelung zum Bonussystem erforderliche Vorgabe der Unternehmensziele der Klägerin erst so spät mitgeteilt hatte, dass die einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden ist (§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 275, 252 BGB). Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, kann der Gläubiger nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB Ersatz des hieraus entstehenden Schadens verlangen. Erfolgt eine Zielvorgabe entgegen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nicht oder zu einem so späten Zeitpunkt, dass ihr keinerlei sinnvolle Anreizfunktion mehr zukommen kann, kann der Arbeitgeber sich schadensersatzpflichtig machen (vgl. LAG Köln 6.2.2024 - 4 Sa 390/23).
Die Beklagte war aufgrund der Regelungen des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags zur Vorgabe der Unternehmensziele der C. E.-Group verpflichtet. Dabei handelte es sich nicht – wie vom Erstgericht angenommen – um eine Zielvereinbarung, sondern um eine Zielvorgabe. Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich grundlegend. Bei Zielvereinbarungen sind nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen werden Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht i. S. d. § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird (BAG 17.12.2020 – 8 AZR 149/20). Im hier maßgeblichen Arbeitsvertrag wurde klar zwischen den zwei Elementen der Bonuszahlung differenziert, dies sowohl sprachlich als auch grafisch, u.a. durch Absätze.
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