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"Fairness" bei arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen durch das Gebot des fairen Verhandelns? (Jung, ZFA 2024, 24)

Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge werden teils unter (sehr) „unfairen“ Umständen verhandelt. Der Arbeitnehmer bedarf insofern eines gewissen rechtlichen Schutzes, da der bestehende Rechtsrahmen die Problematik nicht vollständig lösen kann. Das BAG hat deshalb das Gebot des fairen Verhandelns etabliert, welches das Ziel fairer Verhandlungen allerdings ebenfalls nicht vollumfänglich erreicht. Gleichzeitig besteht die Gefahr einer überschießenden Anwendung des Gebots im gesamten Zivilrecht. Daher wird hier eine alternative Lösung für arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge vorgeschlagen.

I. Einleitung
II. Die Verhandlungsproblematik bei arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen
III. Das Gebot des fairen Verhandelns als Lösungsidee

1. Reichweite des Schutzes durch das Gebot fairen Verhandelns
a) Die Reichweite des Schutzes
b) Die Bewertung der Reichweite des Gebots
2. Die Rechtsgrundlage und die Rechtsfolge
3. Die besondere Verhandlungssituation des arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages
4. Zwischenfazit
IV. Bereits bestehende rechtliche Lösungsalternativen
1. Widerrufsrecht
2. § 123 BGB
3. Weitere Lösungsoptionen
V. Lösungsvorschlag: Prozedurale Fairness durch Zeit
VI. Ergebnis


I. Einleitung

In der arbeitsrechtlichen Literatur wird bereits seit 2001 das Gebot des fairen Verhandelns unter dieser Bezeichnung diskutiert. Seit dem grundlegenden Urteil des BAG vom 7.2.2019 und dem Folgeurteil vom 24.2.2022 ist ein entsprechendes Gebot im Arbeitsrecht nun auch von der Rechtsprechung anerkannt. Inhaltlich geht es bisher vor allem um Aufhebungsverträge, die unter „unfairen“ Verhandlungsbedingungen vom Arbeitnehmer unterzeichnet wurden. Die Kernidee des Gebots fairen Verhandelns besteht darin, dass die Entscheidungsfreiheit der Parteien, durch ein Minimum an Fairness bezüglich der Verhandlungsführung (nicht des Verhandlungsinhalts (!)) garantiert werden soll. Das BAG stützt das entwickelte Gebot dabei auf eine Rücksichtnahmepflicht i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB. Wird diese Rücksichtnahmepflicht von einer Verhandlungspartei verletzt, kann die andere Verhandlungspartei einen Schadensersatzanspruch in Form der culpa in contrahendo geltend machen (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB). Der Wegfall des Aufhebungsvertrags soll dabei nach Ansicht des BAG unmittelbar „zu einer Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen“ führen.

Dieser Beitrag will das Gebot des fairen Verhandelns bei arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen kritisch hinterfragen und insbesondere untersuchen, ob das Gebot sein Ziel, Fairness bei der Verhandlung von arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen sicherzustellen, erreichen kann. Zugleich soll überlegt werden, ob nicht eine speziellere Lösung für arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge vorzugswürdig erscheint. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die spezifische Verhandlungssituation bei vom Arbeitgeber initiierten Aufhebungsverträgen gelegt. Die Frage entfaltet für Arbeitgeber allerdings auch darüber hinaus Relevanz, denn aufgrund der gewählten Rechtsgrundlage, steht zu befürchten, dass das Gebot des fairen Verhandelns nicht nur mit Blick auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge ausgedehnt wird, sondern im gesamten Arbeitsrecht Anwendung finden wird.

II. Die Verhandlungsproblematik bei arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen
Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge beenden ein laufendes Arbeitsverhältnis. Gegenüber typischen Vertragsverhandlungen besteht eine Besonderheit deshalb darin, dass bereits ein Vertrag besteht und somit eine „Nachverhandlung“ mit dem Ziel der Auflösung des Vertragsverhältnisses geführt wird. Ein solcher Aufhebungsvertrag kann im beiderseitigen Interesse der Parteien liegen, sofern sowohl für den Arbeitgeber als auch den Arbeitnehmer keine günstigere Handlungsoption besteht. Eine rationale Entscheidung für oder gegen den Aufhebungsvertrag treffen die Verhandlungsparteien somit unter Berücksichtigung des BATNA („best alternative to a negotiated agreement“). Beide Seiten prüfen dabei, wie der Aufhebungsvertrag im Verhältnis zum BATNA zu bewerten ist. Ist das BATNA für beide Seiten schlechter als ein Aufhebungsvertrag, so besteht eine Einigungszone und der Abschluss des Aufhebungsvertrags ist für beide Seiten rational betrachtet vorteilhaft. Umgekehrt ist es aus rationaler Sicht nicht empfehlenswert einen Aufhebungsvertrag abzuschließen, wenn dazu eine bessere Alternative besteht. Alternativen zum Aufhebungsvertrag sind bspw. die Fortführung des bestehenden Arbeitsverhältnisses, eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung oder eine Änderungskündigung. Die genannten Alternativen verdeutlichen, dass arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge in besonders starkem Maße im „Schatten des Rechts“ verhandelt werden und die Rechtsordnung den Parteien auch einseitig ausübbare Handlungsoptionen gewährt. Wird beispielsweise eine Kündigung von einer Seite glaubwürdig als Alternative benannt, so sind die Handlungsoptionen der anderen Seite stark eingeschränkt.

In der Praxis liegen arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, die auf Initiative des Arbeitnehmers geschlossen werden, grundsätzlich in seinem Interesse. Sehr häufig wird der Arbeitnehmer insofern den Wunsch hegen, zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln oder er hat private Gründe für eine möglichst schnelle Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Alternative zum Aufhebungsvertrag besteht in diesen Situationen somit regelmäßig in einer (einseitig ausübbaren) ordentlichen Kündigung durch den Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber muss daher prüfen, ob für ihn der Aufhebungsvertrag attraktiver ist als die ordentliche Kündigung. Diese Konstellation beschäftigt die Literatur und die ArbG nicht.

Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge können jedoch auch auf Initiative und im Interesse des Arbeitgebers abgeschlossen werden. In diesen Fällen möchte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis auflösen und gleichzeitig die Risiken und Kosten eines Kündigungsschutzprozesses durch den Arbeitnehmer vermeiden, welche mit einer Kündigung oftmals zu erwarten wären. Ein Motiv für den Aufhebungsvertrag kann darin liegen, dass das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer belastet ist. Aber auch betriebliche Gründe sind denkbar. Der Arbeitnehmer muss dann den angebotenen Aufhebungsvertrag in Relation zu den vorliegenden Alternativen bewerten. In der Praxis gibt es somit häufig Konstellationen, in denen alternativ zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags eine außerordentliche oder zumindest eine ordentliche Kündigung im Raum steht. Die Kündigung als einseitiges Rechtsgeschäft schränkt die Handlungsoptionen des Arbeitnehmers stark ein. Er kann in diesen Fällen vor allem im Verhältnis zum Aufhebungsvertrag abwägen, ob er die (alternativ wohl erfolgende) Kündigung gerichtlich überprüfen lassen möchte und wie wahrscheinlich dann der Erhalt des Arbeitsplatzes ist bzw. welche Abfindung im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses realistisch wäre.

Das Gebot des fairen Verhandelns bezieht sich nicht auf das Verhandlungsergebnis – also auf die Frage, ob das Ergebnis innerhalb einer ggf. bestehenden Einigungszone liegt –, sondern auf die Verhandlungsführung. Es geht darum, ob die Einigung über den Aufhebungsvertrag durch „faire“ Verhandlungen erzielt wurde. Die Regelung ist damit nicht inhalts- sondern verhaltensbezogen. Zu bedenken ist insofern, dass das BATNA maßgeblich die Verhandlungsstärke der Parteien bestimmt. Hat der Arbeitgeber beispielsweise die Option einer außerordentlichen Kündigung, welche gute Chancen hat, auch einer gerichtlichen Überprüfung standzuhalten, so ist das BATNA des Arbeitgebers in der Regel stark, auch wenn die durch die Kündigung entstehenden Kosten, die Außenwahrnehmung der Kündigung sowie deren Wirkung ggü. der eigenen Belegschaft vom Arbeitgeber mit einzuberechnen sind. Zugleich sind die Möglichkeiten des Arbeitnehmers, Forderungen i.R.d. der Verhandlung über den Aufhebungsvertrag durchzusetzen, äußerst beschränkt. Diese Situation wird jedoch durch eine schlechte Verhandlungsposition und nicht per se durch „unfaire“ Verhandlungstaktiken seitens des Arbeitgebers verursacht.

Im Folgenden sollen allerdings zentrale Verhandlungssituationen unter besonderer Berücksichtigung der situativen Optionen zur Erzielung eines Verhandlungsungleichgewichts durchdacht werden. Ganz allgemein lässt sich feststellen, dass die einsetzbaren Taktiken darauf abzielen, die Verhandlungsposition des Arbeitgebers zu stärken und/oder die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers zu schwächen. In diesem Zusammenhang kann der Arbeitgeber z.B. mit einer „Überrumpelung“ arbeiten. Eine Möglichkeit besteht insofern darin, den Arbeitnehmer unerwartet mit der Verhandlungssituation zu konfrontieren. Das heißt, die Verhandlung wird nicht oder äußerst kurzfristig angekündigt bzw. es wird...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.02.2024 15:51
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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