Otto Schmidt Verlag

ArbG Köln v. 20.12.2023 - 18 Ca 3954/23

Unwirksame Kündigung eines Schwerbehinderten in der Wartezeit

Kündigungen, die gegen § 164 Abs. 2 SGB IX verstoßen, sind rechtsunwirksam. Eine durch § 164 Abs. 2 SGB IX verbotene Diskriminierung ist indiziert, wenn der Arbeitgeber gegen seine Verpflichtung aus § 167 Abs. 1 SGB IX verstößt. Arbeitgeber sind auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.

Der Sachverhalt:
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als "Beschäftigter im Bauhof" beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.

Gegen diese Kündigung setzt sich der Kläger mit seiner Klage zur Wehr. Er behauptet, für die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit und sein Engagement bei der Beklagten ein hervorragendes Feedback erhalten zu haben. Behinderungsbedingt habe er allerdings während der Einarbeitungsphase nicht so konstant und konzentriert arbeiten können wie jemand ohne Behinderung. Auch sei er nicht so lernfähig wie ein regulärer Arbeitnehmer. Er benötige Routinen. Sobald er Arbeiten öfters ausführe, werde er sicherer. Es bedürfe eines Vorgesetzten, der den richtigen Ton zu treffen vermöge. Wenn jemand, der etwas nicht (direkt) umsetzen könne, zu stark kritisiert werde, werde dieser zwangsläufig nervös. Dies wiederum führe dazu, dass er (noch) mehr Fehler mache. In seinen beiden letzten Einarbeitungsstationen sei er dagegen gut zurechtgekommen.

Der Kläger hält die infolge seiner Arbeitsunfähigkeit erklärte Kündigung für treuwidrig und meint unter Berufung auf die Entscheidung des EuGH v. 10.2.2022 (C-485/20), dass die Beklagte ihm vor Ausspruch der Kündigung eine leidensgerechte Beschäftigung hätte anbieten müssen. Selbst aus Sicht der einarbeitenden Vorgesetzten sei er gerade nicht für alle Aufgaben ungeeignet gewesen.

Das ArbG gab der Klage statt.

Die Gründe:
Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam.

Der Arbeitgeber ist - entgegen bisheriger Rechtsprechung des BAG - auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies ergibt die unionsrechtskonforme Auslegung der Norm. § 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, eintreten.

Dies hat die Arbeitgeberin vorliegend nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit - wie sie vorträgt - nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und ggf. die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | SGBIX
§ 164 Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen
Thies in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 10. Aufl. 2022

Kommentierung | SGBIX
§ 167 Prävention
Thies in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 10. Aufl. 2022

Rechtsprechung:
Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung in der Probezeit
EuGH vom 10.02.2022 - C-485/20
Eva Einfeldt, ArbRB 2022, 67

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.02.2024 14:55
Quelle: ArbG Köln PM vom 20.2.2024

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