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Der Wiedereinstellungsanspruch als "kleiner Bruder" des Kündigungsschutzes - Anwendungsbereich und Voraussetzungen (Korinth, ArbRB 2024, 60)

Ob die Kündigung eines bestandsgeschützten Arbeitsverhältnisses sozial gerechtfertigt ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt ihres Zugangs. Spätere Änderungen sind grds. unbeachtlich. Dies führt insbesondere bei betriebsbedingten Kündigungen zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn der Kündigungsgrund nach Zugang der Kündigung entfällt. Für diese Konstellation hat die Rechtsprechung den Wiedereinstellungsanspruch entwickelt, dessen Anwendungsbereich und Voraussetzungen der Autor darstellt.

I. Grundzüge
II. Die einzelnen Voraussetzungen

1. Grundsätzliche Beschränkung auf Kündigungen
a) Keine Anwendung auf Befristungen
b) Aufhebungs- und Abwicklungsverträge
c) Eigenkündigung des Arbeitnehmers
d) Beschränkung auf Kündigungen nach dem KSchG
e) Zeitliche Einschränkung
2. Änderung der Prognose
a) Personenbedingte Kündigung
b) Betriebsbedingte Kündigung
aa) Prognoseänderung
bb) Auswahl wiedereinzustellender Arbeitnehmer
c) Verhaltensbedingte Kündigung
d) Sonderfall Verdachtskündigung
3. Anderweitige Dispositionen des Arbeitgebers
4. Frist zur Geltendmachung
III. Antragsfassung
1. Abgabe des Angebots
2. Annahme des Arbeitnehmerangebots
IV. Betriebsratsbeteiligung
V. Fazit


I. Grundzüge

Der 2. Senat hat mit seiner bis heute gültigen Leitentscheidung vom 27.2.1997 das dogmatische Fundament eines Rechtsinstituts gelegt, das er „Anspruch auf Wiederbegründung der vertraglichen Hauptpflichten“ genannt hat.

In der Praxis hat sich hierfür der Begriff „Wiedereinstellungsanspruch“ durchgesetzt, weil es darum geht, „durch einen neuen Vertrag das aufgrund der Kündigung wirksam endende Arbeitsverhältnis für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist neu zu begründen“. Der Arbeitgeber verhalte sich rechtsmissbräuchlich, wenn er bei Wegfall des betriebsbedingten Kündigungsgrundes noch während der Kündigungsfrist den veränderten Umständen keine Rechnung trage und dem Arbeitnehmer keine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Kündigungszeitpunkt hinaus anbiete.

Es kommt im Wesentlichen auf fünf Voraussetzungen an:

  • 1. Kündigung des Arbeitgebers
  • 2. Anwendbarkeit des KSchG
  • 3. Änderung der negativen in eine positive Prognose hinsichtlich der Beschäftigungsmöglichkeit innerhalb der Kündigungsfrist
  • 4. Keine anderweitigen Dispositionen des Arbeitgebers
  • 5. Rechtzeitige Geltendmachung

II. Die einzelnen Voraussetzungen

1. Grundsätzliche Beschränkung auf Kündigungen

a) Keine Anwendung auf Befristungen

Ein Wiedereinstellungsanspruch kommt nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber zuvor eine Kündigung ausgesprochen hat. Erweist sich hingegen die Prognose eines nur vorübergehenden Arbeitskräftebedarfs bei einer Befristung im Nachhinein als fehlerhaft, bleibt diese wirksam. Ausnahmen können nur bei Saison- oder Kampagnebetrieben gelten, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer regelmäßig vorbehaltlos wiedereingestellt hat. Auch sind Wiedereinstellungszusagen zu beachten.

b) Aufhebungs- und Abwicklungsverträge
Auch ein Aufhebungsvertrag, den die Arbeitsvertragsparteien zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung geschlossen haben, kann nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage anzupassen sein, wenn die Voraussetzungen für die Kündigung weggefallen sind. „Anpassung“ bedeutet hier den ersatzlosen Wegfall des Aufhebungsvertrags.

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat jüngst dementsprechend entschieden, dass ein Abwicklungsvergleich einen Wiedereinstellungsanspruch jedenfalls dann regelmäßig ausschließt, wenn die Parteien in ihm eine Abfindung in angemessener Höhe vereinbart haben.

Diese Grundsätze finden auch Anwendung, wenn die Arbeitsvertragsparteien die vertragliche Regelung nach Ausspruch der Kündigung getroffen haben.

Beraterhinweis
In der Praxis wird diese Frage insbesondere bei Abfindungsvergleichen bedeutsam. Hierzu hat das BAG entschieden, dass nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage ein Abfindungsvergleich nur entfällt, wenn das Festhalten an ihm für eine Partei unzumutbar ist. Hier reicht es also nicht aus, dass sich die Prognose bei Ausspruch der Kündigung als unrichtig herausgestellt hat.

Gleiches dürfte für Abwicklungsverträge gelten. Aus Gründen anwaltlicher Vorsicht empfiehlt es sich gleichwohl, eine individualvertragliche Vereinbarung aufzunehmen, wonach ein Wiedereinstellungsanspruch ausgeschlossen ist.

Musterformulierung
Es besteht Einigkeit darüber, dass der klägerischen Partei kein Wiedereinstellungsanspruch zusteht.

Eine solche Vereinbarung ist zulässig, nicht hingegen ein Vorab-Ausschluss im Formulararbeitsvertrag.

c) Eigenkündigung des Arbeitnehmers
Der Auffassung von Kunz, wonach ausnahmsweise ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht kommt, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund der Mitteilung des Arbeitgebers, den Betrieb oder einen Teil hiervon zu schließen, von sich aus das Arbeitsverhältnis kündigt, ist zuzustimmen. Hier kann man eine Parallele zum Abfindungsanspruch bei Sozialplänen ziehen.

d) Beschränkung auf Kündigungen nach dem KSchG
Eine weitere Voraussetzung ist das Vorliegen eines bestandsgeschützten Arbeitsverhältnisses. Nicht erfasst werden also Arbeitsverhältnisse in Kleinbetrieben oder in der Wartezeit des § 1 KSchG, da hier keine Kompensation der fehlerhaften Prognoseentscheidung nötig ist. Der nach Art. 12 GG notwendige Mindestschutz wird durch...


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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.02.2024 18:47
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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