Otto Schmidt Verlag

OLG Thüringen v. 14.9.2021 - 7 U 521/21

Unterliegt die E-Mail-Kommunikation der Beschäftigen dem Fernmeldegeheimnis, wenn der Arbeitgeber die Nutzung von Telekommunikation für private Zwecke gestattet?

Das OLG Thüringen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren einem ehemaligen Beschäftigten einen Anspruch auf Unterlassen des Zugriffs auf die Daten seines auch privat genutzten dienstlichen E-Mail-Postfaches durch den Arbeitgeber zugesprochen. Der Arbeitgeber habe mit seiner Einsichtnahme in das dienstliche E-Mail-Postfach, für welches auch die private Nutzung erlaubt war, sowie mit der Verarbeitung der dortigen Daten gegen das Fernmeldegeheimnis verstoßen. Derzeit sprächen die besseren Argumente für die Einordnung des Arbeitgebers als Diensteanbieter bei Gestattung einer privaten Nutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts.

Der Sachverhalt:
Im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz begehrt der Verfügungskläger Unterlassung des Zugriffs der Verfügungsbeklagten auf sein auch privat genutztes dienstliches E-Mail-Postfach. Der Verfügungskläger war seit 2002 bei der Verfügungsbeklagten als Vorstandsmitglied tätig. Die private Nutzung des von der Verfügungsbeklagten zur Verfügung gestellten dienstlichen E-Mail-Postfachs war deren Vorstandsmitgliedern ausdrücklich erlaubt. Der Verfügungskläger nutzte zudem seine private E-Mail-Adresse auch dienstlich.

Am 7.2.2020 kündigte die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger außerordentlich unter Widerruf der Vorstandsbestellung. Hierbei wurde er zur Herausgabe aller firmeneigenen Gegenstände aufgefordert. Unter Protest der Verfügungsbeklagten entfernte er einen noch an dem Dienstrechner eingesteckten USB-Stick und nahm diesen an sich.

Das LG hatte zunächst im Wege der einstweiligen Verfügung der Verfügungsbeklagten den Zugriff auf das E-Mail-Postfach „...@....de“ ohne Zustimmung des Verfügungsklägers sowie eine Verarbeitung der dort enthaltenen Informationen untersagt und zudem die Verfügungsbeklagte verpflichtet, die Verarbeitung der bereits hieraus erlangten Daten durch technische und organisatorische Maßnahmen zu beschränken. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch der Verfügungsbeklagten hat das LG die einstweilige Verfügung aufgehoben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Dem Verfügungskläger stehe kein Verfügungsanspruch zur Seite. Insbesondere bestehe kein Anspruch auf Unterlassung nach §§ 44, 88 TKG.

Mit seiner Berufung wendet sich der Verfügungskläger gegen das erstinstanzliche Urteil und begehrt weiterhin den Erlass der erstinstanzlich beantragten einstweiligen Verfügung. Das Rechtsmittel hatte Erfolg in der Sache. Gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO findet gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Verfügung entschieden worden ist, eine Revision nicht statt.

Die Gründe:
Dem Verfügungskläger steht im einstweiligen Verfügungsverfahren ein Anspruch auf Unterlassen des Zugriffs auf die Daten seines auch privat genutzten dienstlichen E-Mail-Postfaches bei der Verfügungsbeklagten zur Seite.

Der Verfügungskläger kann seine auf eine Unterlassung des Zugriffs der Verfügungsbeklagten auf Daten seines dienstlichen E-Mail-Postfaches gerichteten Eilanträge auf §§ 44 Abs. 1, 88 TKG stützen. Denn die Verfügungsbeklagte hat mit ihrer Einsichtnahme in das dienstliche E-Mail-Postfach des Verfügungsklägers, für welches auch die private Nutzung erlaubt war, sowie mit der Verarbeitung der dortigen Daten gegen das Fernmeldegeheimnis verstoßen. Sie muss sich dabei als Diensteanbieter iSd §§ 88 Abs. 2, 3 Nr. 6 TKG behandeln lassen.

Die Frage der Anwendbarkeit des § 88 TKG auf die betriebsinterne private Nutzung von E-Mails ist stark umstritten. Die wohl (noch) herrschende Auffassung in der Fachliteratur und der Datenschutzbehörden sieht dessen Anwendungsbereich eröffnet. Gemäß § 88 Abs. 2 TKG ist jeder Diensteanbieter zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verpflichtet. Diensteanbieter nach § 3 Nr. 6 TKG ist jeder, der ganz oder teilweise geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste für Dritte erbringt oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt.

Derzeit sprechen die besseren Argumente für die Einordnung des Arbeitgebers als Diensteanbieter iSd §§ 88 Abs. 2, 3 Nr. 6 TKG bei Gestattung einer privaten Nutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts. Insbesondere sind die teilweise vorgebrachten Zweckmäßigkeitserwägungen der Gegenauffassung hinsichtlich eines aus dienstlichen Gründen erforderlichen Zugriffsrechts des Arbeitgebers auf ein persönliches E-Mail-Postfach des Mitarbeiters nicht überzeugend. Denn sofern ein Zugriff zu der dienstlichen Kommunikation des Mitarbeiters für den Arbeitgeber erforderlich ist, kann er u.a. durch Veranlassung sog. Funktionspostfächer eine Abgrenzung zu der Privatsphäre des Mitarbeiters schaffen und organisatorische Maßnahmen zur Eingliederung in den betrieblichen Ablauf ergreifen.

Letztlich bedarf es jedoch vorliegend keiner Entscheidung des Senats in Hinblick auf den vorgenannten Streit. Denn unabhängig von der vorgenannten Auseinandersetzung zur Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 88 TKG liegt im streitgegenständlichen Fall eine Selbstbindung der Verfügungsbeklagten mit Schaffung eines entsprechenden Vertrauenstatbestandes infolge der eigenen Einordnung als Diensteanbieter im Rahmen ihrer Richtlinie zur Nutzung von Internet und E-Mail vor. Hierin führt diese aus, dass sie durch das Angebot der privaten Nutzung des Internetzuganges und des E-Mail-Anschlusses zum Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen werde und somit das Fernmeldegeheimnis zu wahren habe.

Zutreffend rügt die Berufung auch, das LG habe vorliegend die Reichweite des insoweit geltenden Fernmeldegeheimnisses verkannt, indem es die Daten im E-Mail-Postfach nicht mehr als Teil des Telekommunikationsvorganges ansah, weil die E-Mails in die Unternehmensabläufe einzubeziehen seien.

Mehr zum Thema:

Handbuch Internetrecht
2. Schutz der E-Mail
Härting in Härting, Internetrecht, 7. Aufl. 2023

Rechtsprechung:
Beweisverwertungsverbot bei erlaubter Privatnutzung des Diensthandys
LAG Baden-Württemberg vom 27.1.2023 - 12 SA 56/21
Jessica Jacobi, ArbRB 2023, 263

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.02.2024 14:33
Quelle: Justiz Thüringen online

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