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Aktuell im ArbRB

Die betriebsbedingte Kündigung wegen Streichung einer Hierarchieebene - Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess (Laber, ArbRB 2024, 47)

Der Bayer-Konzern plant gerade einen erheblichen Personalabbau: Ganze Hierarchieebenen sollen dabei abgebaut werden. Die Folge dieser neuen, als „Dynamic Shared Ownership“ bezeichneten Struktur: Vor allem Führungskräften drohen betriebsbedingte Kündigungen. Das ist in Zeiten zunehmender Agilität kein Einzelfall. Aber entfällt bei einem solchen Abbau von Hierarchieebenen automatisch der Beschäftigungsbedarf? Und welche Voraussetzungen müssen dafür im Detail erfüllt sein?

I. Kündigungsrechtliche Ausgangslage
II. Unternehmerentscheidung

1. Keine „dringenden“ Gründe erforderlich
2. Schranken der Unternehmerfreiheit
3. Deckungsgleichheit von Unternehmerentscheidung und Kündigungsentschluss
III. Streichung einer Hierarchieebene oder eines einzelnen Arbeitsplatzes
1. Erfordernis gerichtlicher Überprüfung
2. Substantiierte Darlegung seitens des Arbeitgebers
IV. Darlegungs- und Beweislastverteilung
V. Resumée


I. Kündigungsrechtliche Ausgangslage

Nach § 1 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis im Betrieb des Arbeitgebers mit regelmäßig zehn oder mehr Beschäftigten länger als sechs Monate bestanden hat, rechtswirksam, wenn sie sozial gerechtfertigt ist. Sozial gerechtfertigt ist die Kündigung gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG u.a. dann, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben.

  • Außerbetriebliche Ursachen sind Umstände, die von der internen Betriebsorganisation und Betriebsführung unabhängig sind, die aber einen konkreten Bezug zum Betrieb haben und sich deshalb auf die Arbeitsverhältnisse auswirken (z.B. Auftrags- oder Umsatzrückgang).
  • Innerbetriebliche Ursachen sind dagegen alle internen betrieblichen Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet, durch die der Arbeitgeber seine Entscheidung über die der Geschäftsführung zugrunde liegende Unternehmenspolitik im Hinblick auf den Markt oder die Organisation des Betriebs verwirklicht und die sich auf den Beschäftigungsbedarf im Betrieb auswirken. Diese Ursachen fallen regelmäßig mit einer unternehmerischen Entscheidung zusammen.

Beraterhinweis
Außerbetriebliche Gründe bedürfen stets noch der Umsetzung durch eine gestaltende unternehmerische Entscheidung, während ein innerbetrieblicher Grund regelmäßig durch die unternehmerische Entscheidung selbst herbeigeführt wird.

II. Unternehmerentscheidung
Führt die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-) Entscheidung auf betrieblicher Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs eines oder mehrerer betroffener Arbeitnehmer, so liegen dringende betriebliche Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG vor. Dies berechtigt den Arbeitgeber zum Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung, soweit die Prognose des Wegfalls bereits im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt ist.

Beraterhinweis
Hängt der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs von einer unternehmerisch-organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers ab, braucht diese bei Kündigungszugang noch nicht tatsächlich umgesetzt zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet.

1. Keine „dringenden“ Gründe erforderlich
Dabei kommt es de lege lata nicht darauf an, ob die dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrunde liegende unternehmerische (Organisations-)Entscheidung ihrerseits – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – „dringend“ war oder die Existenz des Unternehmens auch ohne sie nicht gefährdet gewesen wäre. Das KSchG schreibt nicht eine bestimmte rechtliche und organisatorische Form der Erledigung anfallender Aufgaben fest.

Der Arbeitgeber ist vielmehr – bis zur Grenze der Willkür – frei, auch wirtschaftlich nicht zwingend notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen. Ihm kann auch nicht von Seiten der Gerichte für Arbeitssachen vorgeschrieben werden, eine „bessere“ oder „richtigere“ betriebliche Organisation vorzunehmen.

Beraterhinweis
Da auch rein innerbetriebliche Maßnahmen angesichts der Organisationsfreiheit des Arbeitgebers eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen können, ist der Arbeitgeber...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.02.2024 09:38
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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