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Aktuell im ArbRB

Kein Recht auf Nichterreichbarkeit - Wann Arbeitnehmer Anrufe des Arbeitgebers in ihrer Freizeit zur Kenntnis nehmen müssen (Gaul/Roters, ArbRB 2024, 15)

Insbesondere bei Schichtarbeit, aber z.B. auch bei mobil arbeitenden Arbeitnehmern kann es notwendig sein, kurzfristig die Arbeitszeit zu ändern oder bestimmte Anwesenheitszeiten festzulegen. Kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dafür auch in seiner Freizeit, während der Pause oder in der Ruhezeit kontaktieren oder besteht ein Recht auf Unerreichbarkeit? Die Autoren beschreiben die Leitlinien, die das BAG hierzu in seinem Urteil vom 23.8.2023 entwickelt hat.

1. Ausgangssituation
2. Sachverhalt der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein
3. Bedeutung der Erreichbarkeit für den Entgeltfortzahlungsanspruch
4. Pflicht des Arbeitnehmers zur Entgegennahme von Nachrichten des Arbeitgebers während der Freizeit

a) Konkretisierung durch Betriebsvereinbarung
b) Grundsätzliche Verpflichtung aus § 241 Abs. 2 BGB
5. Keine arbeitszeitrechtlichen Auswirkungen
6. Fazit und Handlungsempfehlungen


1. Ausgangssituation

Viele Gründe können in der betrieblichen Praxis eine Änderung der ursprünglich geplanten Arbeitszeit erforderlich machen.

Beispiele
Dies kann etwa bei Erkrankung anderer Arbeitnehmer der Fall sein, bei kurzfristigen Ausfällen oder Störungen von Produktionsanlagen oder IT-Systemen, bei Wetteränderungen und extern veranlassten Änderungen des Arbeitsbedarfs.

Falls der Arbeitgeber hierfür keine Rufbereitschaft und keinen Bereitschaftsdienst eingerichtet hat, stellt sich die Frage, ob er den Arbeitnehmer auch während der Freizeit auf die Änderungen ansprechen darf. Gibt es hier ein Recht auf Unerreichbarkeit?

Beraterhinweis
Diese Frage kann sich auch bei Arbeitnehmern stellen, die in Vertrauensarbeitszeit und/oder ohne weitergehende Arbeitszeitvorgaben im Rahmen mobiler Arbeit tätig sind und wegen Veränderungen in Bezug auf ihre Arbeitszeit, bestimmte Folgetermine oder einen gemeinsamen Termin im Betrieb angesprochen werden sollen.

Bislang hat sich die Rechtsprechung mit dieser Frage nur selten befasst. Nachdem das Thüringer LAG und das LAG Schleswig-Holstein eine Berechtigung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in seiner Freizeit anzusprechen, aber noch nahezu ausgeschlossen hatten, ist es für die betriebliche Praxis überaus wichtig zu wissen, dass das BAG diese Sichtweise in seinem Urteil vom 23.8.2023 nicht übernommen und eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers angenommen hat, Weisungen des Arbeitgebers zum Beginn der Arbeit und/oder zum Arbeitsort grds. auch in der Freizeit entgegenzunehmen. Die daraus resultierenden Grundsätze sollen nachfolgend aufgezeigt werden.

2. Sachverhalt der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein
In dem der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein vom 27.9.2022 zugrunde liegenden Fall stritten die Parteien über den Stand des Arbeitszeitkontos des als Notfallsanitäter tätigen Klägers sowie über die Entfernung einer Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens. Hintergrund war, dass der Kläger auf eine Benachrichtigung über eine Dienstplanänderung während seiner Freizeit erst nach Beginn der geänderten Dienstzeit reagiert und seine Arbeitsbereitschaft erst nach dem geänderten Zeitpunkt des Dienstbeginns angezeigt hatte.

Zur Begründung seines Begehrs hatte der Kläger darauf verwiesen, dass er die Dienstplanänderung im Internet nicht eingesehen und ihn Anrufe bzw. SMS auf dem privaten Mobiltelefon nicht erreicht hätten. Die Beklagte berief sich zur Begründung ihrer Abmahnung auf eine Betriebsvereinbarung, in der ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.01.2024 16:54
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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