Otto Schmidt Verlag

Aktuell im ArbRB

Der sachliche Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes - Wann sind Whistleblower erfasst und wann nicht? - Ein Überblick über Tatbestände und Abgrenzungsfragen (Dzida, ArbRB 2023, 370)

Das Hinweisgeberschutzgesetz geht in seinem sachlichen Anwendungsbereich deutlich über die Vorgaben der EU-Whistleblower-Richtlinie hinaus. Für Hinweisgeber ergibt sich hier Beratungsbedarf, um beurteilen zu können, ob ihre Meldung oder Offenlegung von Verstößen gegen bestimmte Normen in den sachlichen Anwendungsbereich des HinSchG fällt. Der Beitrag gibt einen Überblick über Tatbestandsvoraussetzungen und verschiedene Abgrenzungsfragen.

I. Sachlicher Anwendungsbereich
1. Gesetzliche Regelung
2. Sinn und Zweck
a) Regierungsentwurf
b) Kritik
II. Voraussetzungen für den Schutz hinweisgebender Personen
III. Beispiele für Abgrenzungsprobleme

1. Bußgeldvorschriften des BetrVG
a) Beispiel
b) Einordnung
2. Bußgeldvorschriften des AÜG
a) Beispiel
b) Einordnung
3. Bußgeldvorschriften des Sozialrechts
a) Beispiel
b) Einordnung
IV. Folgen einer Meldung außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs
V. Fazit


I. Sachlicher Anwendungsbereich

1. Gesetzliche Regelung

Nach § 2 HinSchG erfasst der sachliche Anwendungsbereich des neuen Gesetzes die Meldung und Offenlegung von Informationen über

  • Verstöße, die strafbewehrt sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG),
  • Verstöße, die bußgeldbewehrt sind, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungen dient (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG), sowie
  • Verstöße gegen ausgewählte weitere Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder, die überwiegend europarechtlichen Hintergrund haben, sowie ausgewählte, unmittelbar geltende Rechtsakte der EU und der Europäischen Atomgemeinschaft (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 bis 10, Abs. 2 HinSchG).

Mit diesem sehr weit gefassten sachlichen Anwendungsbereich ist der deutsche Gesetzgeber deutlich über die Vorgaben der EU-Whistleblower-Richtlinie hinausgegangen. Bei einer „1:1-Umsetzung“ dieser Richtlinie hätte er sich vereinfacht gesagt auf die zuletzt genannte Kategorie der Rechtsvorschriften und Rechtsakte mit europarechtlichem Hintergrund beschränken können. Er entschied sich jedoch, über die Vorgaben der Richtlinie im Sinne eines „Goldplating“ hinauszugehen, und insb. die vorstehend genannten straf- und bußgeldbewehrten Verstöße gegen Vorschriften nationalen Rechts in den Anwendungsbereich des HinSchG einzubeziehen.

2. Sinn und Zweck

a) Regierungsentwurf

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung stützt den weiten Anwendungsbereich des HinSchG im Wesentlichen auf zwei Hauptargumente:

Zum einen bestünde die Gefahr von Wertungswidersprüchen, wenn das HinSchG zwar Verstöße gegen wichtige Normen mit europarechtlichem Hintergrund erfassen würde, nicht aber Verstöße gegen strafbewehrte Normen rein nationalen Rechts.

Zum anderen solle der weite sachliche Anwendungsbereich Abgrenzungsschwierigkeiten vermeiden, die bei einer „1:1-Umsetzung“ der EU-Whistleblower-Richtlinie zu befürchten seien. Der Argumentation des Regierungsentwurfs liegt die Überlegung zugrunde, dass Whistleblower bei einer „1:1-Umsetzung“ der EU-Whistleblower-Richtlinie nicht rechtssicher einschätzen können, ob der von ihnen gemeldete Verstoß eine der zahllosen, in der Richtlinie genannten Normen mit europarechtlichem Hintergrund betrifft. Durch die Aufnahme strafbewehrter und bestimmter bußgeldbewehrter Verstöße gegen Vorschriften nationalen Rechts verringere der Gesetzgeber diese Abgrenzungsschwierigkeiten. Hierdurch werde das Gesetz für hinweisgebende Personen in der praktischen Anwendung „handhabbar“.

b) Kritik
Diese Argumentation überzeugt nicht: Wie die nachfolgenden Beispiele zeigen, werden die Abgrenzungsschwierigkeiten durch einen weit gefassten sachlichen Anwendungsbereich vergrößert und nicht verringert. Kurz gesagt: Je weiter der sachliche Anwendungsbereich, desto größer ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.12.2023 15:02
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite