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Aktuell im ArbRB

Vertrauensarbeitszeit ohne Vertrauen? - Aktueller Stand und Umsetzungstipps für die Praxis (Prehm/Steffan, ArbRB 2023, 343)

Seit durch die Rechtsprechung des EuGH und des BAG feststeht, dass nicht nur „Überstunden“, sondern alle Arbeitszeiten aufgezeichnet werden müssen, ist das Schicksal der Vertrauensarbeitszeit ungewiss. Zwar wird deren Fortbestand gefordert und wohl überwiegend auch bestätigt, doch vertragen sich Vertrauensarbeitszeit und Aufzeichnungspflicht nur dann, wenn man von Kontrollen absieht. Diese werden aber überwiegend für erforderlich gehalten. Eine Quadratur des Kreises?

I. Vertrauensarbeitszeit: Was ist das?
1. Definition des BAG
2. Aufzeichnung trotz Vertrauens?
II. Aktuelle Aufzeichnungspflicht
1. Vorgaben der Rechtsprechung
2. Umsetzung durch die Gesetzgebung
a) Bekenntnis der Bundesregierung
b) Referentenentwurf des BMAS
c) Ergebnisse der Experten-Anhörung
III. Betriebsrat als Ersatzkontrolleur?
IV. Was folgt daraus für die Praxis?

1. Aufzeichnungspflicht
2. Delegation und Kontrolle
3. Aufbewahrung der Dokumentation
V. Summa und Ausblick


I. Vertrauensarbeitszeit: Was ist das?

1. Definition des BAG

Nach der Sichtweise des BAG bedeutet Vertrauensarbeitszeit, dass der Arbeitnehmer Beginn und Ende seiner täglichen Arbeitszeit selbst bestimmen kann. Im Gegenzug verzichtet der Arbeitgeber auf die Kontrolle, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit einhält.

Bei der Vertrauensarbeitszeit verzichtet der Arbeitgeber also auf die Ausübung seines Weisungsrechts hinsichtlich der zeitlichen Lage der Arbeitszeit; es kommt vielmehr (nur) auf die Erfüllung der Aufgaben an. Die Verteilung der Arbeitszeit organisiert der Arbeitnehmer eigenverantwortlich, was die Fähigkeit zur Selbstdisziplin und Selbstmanagement erfordert.

Beraterhinweis
Die Vertrauensarbeitszeit ändert allerdings nichts am Charakter des Arbeitsverhältnisses, so dass die Vorschriften des ArbZG in Bezug auf Höchstgrenzen und Ruhezeiten ebenso gelten wie alle anderen arbeitsrechtlich zwingenden Vorschriften. Allerdings überprüft der Arbeitgeber insbesondere die Einhaltung der Vorschriften nach dem ArbZG regelmäßig nicht; auch dafür ist der Arbeitnehmer verantwortlich.

2. Aufzeichnung trotz Vertrauens?
Der Verzicht auf die Kontrolle der Arbeitszeit beinhaltet jedoch nicht zwangsläufig einen Verzicht auf deren Erfassung. Allerdings drehten sich die Streitfälle zur Vertrauensarbeitszeit in der Vergangenheit nur mittelbar um die Aufzeichnung der Arbeitszeit, wenn es etwa um die Frage ging, ob im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit Überstunden zu vergüten sind. In diesem Kontext hat das BAG darauf hingewiesen, dass die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit weder der Führung eines Arbeitszeitkontos entgegensteht noch der Abgeltung von Mehrarbeit.

Beraterhinweis
Im Ergebnis schlossen sich also auch vor der aktuellen Diskussion um die Aufzeichnungspflicht die Erfassung der Arbeitszeit und die Vertrauensarbeitszeit nicht aus. Allerdings bestand bisher grds. keine allgemeine Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit. Eine solche galt nach § 16 Abs. 2 ArbZG nur für die Überschreitung der Regelarbeitszeit von acht Stunden pro Tag.

II. Aktuelle Aufzeichnungspflicht

1. Vorgaben der Rechtsprechung

Bekanntlich hat der EuGH in der Rechtssache „CCOO“ entschieden, dass die Mitgliedstaaten aus Gründen des effektiven Arbeitsschutzes die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches „System“ einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Dabei obliege es den nationalen Gesetzgebern, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere der von ihm anzunehmenden Form, zu bestimmen und dabei ggf. den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten – sogar der Größe – bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen.

Nach dem Beschluss des BAG vom 13.9.2022 besteht bereits eine gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG zur Erfassung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit. Das BAG versteht die in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG weit und eher unbestimmt gefasste Verpflichtung des Arbeitgebers, für eine „geeignete Organisation“ zu sorgen und ....



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.12.2023 15:17
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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