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Aktuell im ArbRB

Die Beleidigung von Kollegen in WhatsApp-Gruppen - Eine rechtsfreie Zone? - Neue Grenzen für die berechtigte Vertraulichkeitserwartung (Oberthür, ArbRB 2023, 338)

Die Beleidigung und Herabsetzung von Vorgesetzten oder Kollegen kann grds. geeignet sein, die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Gilt dies auch für Äußerungen eines Arbeitnehmers in einer WhatsApp-Gruppe? Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 24.9.2023 die Grenzen für eine insoweit geltende Vertraulichkeitserwartung aufgezeigt. Die Autorin stellt die maßgeblichen Grundsätze zusammenfassend dar.

1. Grundsatz der Vertraulichkeitserwartung
2. Individuelle Beurteilung der Gesprächssituation

a) Person der Gesprächsteilnehmer
b) Äußerlicher Kontext der Äußerungen
c) Anzahl der Gesprächsteilnehmer
d) Medium der Kommunikation
e) Schutzbedürftigkeit
3. Neues Kriterium des BAG: Gewicht der Äußerung
4. Darlegungslast des Arbeitnehmers
5. Zusammenfassung


1. Grundsatz der Vertraulichkeitserwartung

Bei der rechtlichen Bewertung, ob ehrverletzende Äußerungen eine Kündigung rechtfertigen können, sind grds. auch die Umstände zu berücksichtigen, unter denen der Arbeitnehmer die Äußerungen getätigt hat. Hintergrund ist ein aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgender Vertraulichkeitsschutz insbesondere im Intim- und Privatbereich. Bei Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen in einer Sphäre, die gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmt ist, tritt nach der Rechtsprechung des BVerfG der Aspekt der Ehrverletzung der von der Äußerung betroffenen Person gegenüber dem einer freien Entfaltung der Persönlichkeit der sich äußernden Person zurück.

Beraterhinweis
Zum Persönlichkeitsschutz gehört demnach die Möglichkeit jedes Einzelnen, seine Emotionen unter den Bedingungen eines besonderen Vertrauensverhältnisses frei auszudrücken, geheime Wünsche oder Ängste zu offenbaren und das eigene Urteil über Verhältnisse und Personen freimütig kundzugeben.

In solchen Vertraulichkeitsbeziehungen getroffene Äußerungen genießen als Ausdruck der Persönlichkeit und ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht.

Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung setzt diese verfassungsrechtlichen Vorgaben durch den Grundsatz der Vertraulichkeitserwartung um.

Beraterhinweis
Demnach können Äußerungen, die Arbeitnehmer in einem vertraulichen Gesprächskontext in der berechtigten Erwartung getätigt haben, dass sie nicht an Dritte weitergegeben werden, von der Arbeitgeberin nicht ohne weiteres zur Rechtfertigung arbeitsrechtlicher Sanktionen herangezogen werden.

2. Individuelle Beurteilung der Gesprächssituation
Die Bewertung ehrverletzender Äußerungen in vertraulichen Gesprächssituationen erfordert eine Abwägung der Persönlichkeitsrechte sowohl der äußernden Person als auch derjenigen, die von den Äußerungen betroffen ist. Dies gebietet eine Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls insbesondere dahingehend, ob der sich äußernde Arbeitnehmer berechtigterweise erwarten durfte, dass seine Äußerungen nicht an Dritte weitergegeben werden. Dabei sind verschiedene Umstände des Gesprächskontextes zu bewerten.

a) Person der Gesprächsteilnehmer
Die verfassungsrechtlich geschützte Komponente des Äußerungskontextes bezieht sich auf Äußerungen innerhalb eines besonderen Vertrauensverhältnisses.

Beraterhinweis
Damit sind insbesondere Äußerungen innerhalb eines Ehe-, Verwandtschafts- oder Liebesverhältnisses besonders geschützt.

Der vertrauliche Bereich ist auf diese familiären Beziehungen allerdings nicht begrenzt; auch bei Freunden und anderen Vertrauenspersonen, zu denen auch Arbeitskollegen zählen können, kann ein vergleichbarer Vertraulichkeitskontext bestehen. Erforderlich ist allerdings, dass ....
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.12.2023 14:55
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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