Otto Schmidt Verlag

Aktuell in der ZFA

„Künstliche Intelligenz“ als Tatbestandsmerkmal (Herberger, ZFA 2023, 367)

Die Verwendung des Tatbestandsmerkmals „Künstliche Intelligenz“ im Betriebsverfassungsgesetz erfordert wegen der Bezugnahme auf eine Informatik-Terminologie eine theoretische Analyse zum Bedeutungsgehalt und den Folgen in der Rechtsanwendung. Damit kommt dem Betriebsverfassungsrecht eine Vorreiterrolle bei der Begriffsbildung zu.


A. Einleitung

I. Der Sprachgebrauch im Bundesrecht außerhalb des BetrVG

II. Die Redeweise von „Künstlicher Intelligenz“ im BetrVG

B. Die Regelungen im BetrVG zur KI im Einzelnen

I. Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG)

II. Unterrichtungsrechte (§ 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG)

III. Auswahlrichtlinien (§ 95 Abs. 2a BetrVG)

IV. Zwischenfazit

C. „Künstliche Intelligenz“ als Begriff

I. Die methodische Relevanz der Definitionsbemühungen auf europäischer Ebene

II. Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz

1. Definitionsansatz

2. Beurteilung

III. Vorschlag des Rats der Europäischen Union

1. Definitionsansatz

2. Beurteilung

IV. Differenzierung zwischen deterministischen und nicht-deterministischen Systemen

1. Begriffliche Kritik

2. Deterministische Systeme im Sinne von Vorhersehbarkeit

3. Nicht-deterministische Systeme im Sinne von fehlender Vorhersehbarkeit

V. Begriffsfindung durch Selbstdeklaration

VI. Begriffsfindung durch Einigung

VII. Verzicht auf eine allgemeingültige Definition

VIII. Zwischenfazit

IX. Der Test auf Normenklarheit

D. Praktische Konsequenzen für das Betriebsverfassungsgesetz

I. Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG)

II. Unterrichtungsrechte (§ 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG)

III. Auswahlrichtlinien (§ 95 Abs. 2a BetrVG)

E. Reformvorschlag de lege ferenda

I. Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG)

II. Unterrichtungsrechte (§ 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) und Auswahlrichtlinien (§ 95 Abs. 2a BetrVG)

III. Zwischenfazit

F. Fazit


A. Einleitung

Es zeichnet sich ab, dass der Begriff „Künstliche Intelligenz“ im deutschen Recht eine Karriere als Tatbestandsmerkmal beginnt. Ein besonders prominenter Fall ist diesbezüglich das Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz), das „Künstliche Intelligenz“ in drei Normen des Betriebsverfassungsgesetzes implementiert hat. Auf diese Weise ist das Betriebsverfassungsrecht bei der Aufgabe einer diesbezüglichen Begriffsbestimmung in eine Vorreiterrolle geraten. Da eine Strategie der sektoralen Begriffsbildung als nicht empfehlenswert erscheint, stellt sich analytisch die Aufgabe zu prüfen, ob die bloße Verwendung des Kürzels „Künstliche Intelligenz“ als Tatbestandsmerkmal begrifflich fundiert werden kann und dies auf eine Weise, die möglicherweise auch über das Betriebsverfassungsgesetz Geltung beanspruchen kann.

I. Der Sprachgebrauch im Bundesrecht außerhalb des BetrVG

Im Jahr 2020 begann der Bundesgesetzgeber damit, „Künstliche Intelligenz“ als Tatbestandsmerkmal zu verwenden. Dies geschah zuerst im „Investitionsgesetz Kohleregionen“ (InvKG) vom 8.8.2020. Dort wurde in § 17 Nr. 24 die „weitere Förderung des Forschungsvorhabens „Neuro-inspirierte Technologien der künstlichen Intelligenz für die Elektronik der Zukunft“ (NEUROTEC) im Rheinischen Revier“ zugesagt. Zwei Anlagen sprechen gleichfalls im Förderungskontext von „Künstlicher Intelligenz“. In Anlage 1 taucht „Künstliche Intelligenz“ als Forschungsschwerpunkt auf. In Anlage 2 wird „Künstliche-Intelligenz-basierter Diagnostik“ als förderungswürdiger Teil eines Life-Science-Clusters aufgeführt.

Seit dem 27.4.2021 spricht die Außenwirtschaftsverordnung (AWV) in § 55a Abs. 1 Nr. 13 von Gütern, „die mittels Verfahren der Künstlichen Intelligenz konkrete Anwendungsprobleme lösen und zur eigenständigen Optimierung ihrer Algorithmen fähig sind“. Als zusätzliches Merkmal wird festgelegt, dass diese Güter für bestimmte Zwecke genutzt werden können. Es handelt sich um die Fähigkeit,

„a) Cyber-Angriffe durchzuführen,

b) Personen zu imitieren, um gezielte Desinformation zu verbreiten,

c) als Mittel zur Auswertung von Sprachkommunikation oder zur biometrischen Fernidentifikation von Personen zum Zwecke der Überwachung, die bei objektiver Betrachtung auch zur internen Repression geeignet ist verwendet zu werden, oder

d) Bewegungs‑, Standort‑, Verkehrs- oder Ereignisdaten über Personen zum Zwecke der Überwachung, die bei objektiver Betrachtung auch zur internen Repression geeignet ist, zu analysieren“.

Bei den Förderprogrammen bezieht sich der Text ersichtlich auf  (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.08.2023 14:51
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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