Otto Schmidt Verlag

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Die Vier-Tage-Woche aus arbeitsrechtlicher Sicht - Voraussetzungen, Modelle und Gestaltungstipps (Legerlotz/Nimsch, ArbRB 2023, 206)

Im Zusammenhang mit den Diskussionen um eine angemessene Work-Life-Balance und längere Erholungsphasen im Arbeitsleben ist die Vier-Tage-Woche eines der zentralen Themen. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung wünschen sich rund 81 % der Vollzeitbeschäftigten in Deutschland eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit – allerdings überwiegend (73 %) bei vollem Lohnausgleich. Und einige Unternehmen testen bereits das Vier-Tage-Modell, so etwa das Klinikum Bielefeld im Pflegebereich (s. https://ottosc.hm/PilotPflege). Zu den positiven Erfahrungen gehören eine höhere Zufriedenheit und Loyalität der Arbeitnehmer, die in Zeiten des Fachkräftemangels an Bedeutung gewinnt, ein z.T. niedrigerer Krankenstand und eine höhere Produktivität, aber auch Kostenersparnisse durch eine geringere Nutzung von Büroraumen oder Fahrtkosten. Klar ist aber auch: Nicht für jeden Beruf ist die Vier-Tage-Woche umsetzbar. Im Folgenden wird untersucht, unter welchen arbeitsrechtlichen Voraussetzungen Unternehmen eine Vier-Tage-Woche einführen können und welche Normen bei der konkreten Ausgestaltung zu beachten sind.

I. Einführung einer Vier-Tage-Woche
1. Arbeitszeitverkürzung oder Änderung der Arbeitszeitverteilung – Gestaltungsoptionen
2. Einführung mittels Direktionsrechts oder arbeitsvertraglicher Vereinbarung
3. Tarifvertragliche Vereinbarung
4. Beteiligung des Betriebsrats
a) Änderung nur der Arbeitszeitverteilung
b) Mischmodell
c) Reine Arbeitszeitverkürzung (Teilzeitmodell)
II. Die Ausgestaltung der Vier-Tage-Woche
1. Beachtung des Arbeitszeitgesetzes
2. Geltung des TzBfG bei einer Vier-Tage-Woche mit reduzierter Stundenzahl
a) Individueller Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung
b) Unternehmerisches Pilotprojekt
3. Beachtung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes
4. Der Urlaubsanspruch bei Wechsel in eine Vier-Tage-Woche
a) Was ist mit Resturlaub aus Zeiten der Fünf-Tage-Woche?
b) Besonderheiten bei Änderung nur der Arbeitszeitverteilung
III. Fazit


I. Einführung einer Vier-Tage-Woche

Bei Einführung einer Vier-Tage-Woche ist insbesondere zwischen der gleichmäßigen Verteilung der – unveränderten – wöchentlichen Arbeitszeit auf vier Tage und der Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit zu unterscheiden.

1. Arbeitszeitverkürzung oder Änderung der Arbeitszeitverteilung – Gestaltungsoptionen
Wird lediglich die bisherige Arbeitszeit auf vier anstatt fünf Arbeitstage verteilt, ist zu beachten, dass ein Arbeitstag mit zehn Stunden 1 trotz der zusätzlichen oder verlängerten Freizeit zu einer hohen Arbeitsbelastung und damit zu einer nachlassenden Produktivität der Arbeitnehmer führen kann.

Alternativ kann die Arbeitszeitverkürzung mit einer Gehaltskürzung umgesetzt werden, also letztlich Teilzeitarbeit eingeführt bzw. vereinbart werden.

Beraterhinweis
Denkbar ist auch eine Mischform: Dabei wird die wöchentliche Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn unter nur teilweiser Stundenreduzierung auf vier Tage verteilt. Diese Gestaltung würde wohl beim Großteil der Arbeitnehmer Akzeptanz finden, weil der zusätzlichen Freizeit nur eine geringere Gehaltseinbuße gegenübersteht. Für Unternehmen wird diese Alternative nur dann hinreichend attraktiv sein, wenn eine höhere Produktivität die höheren Kosten ausgleicht oder sonstige Kostenersparnisse zu erwarten sind.

Je nach gewähltem Modell sind unterschiedliche Regelungen zu beachten – sowohl im Hinblick auf die Einführung der geänderten Arbeitszeit als auch im Hinblick auf die zu beachtenden Normen bei der konkreten Ausgestaltung.

2. Einführung mittels Direktionsrechts oder arbeitsvertraglicher Vereinbarung
Grundsätzlich obliegt dem Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts gem. § 106 GewO die Verteilung der Arbeitszeit, da deren Lage nicht im Synallagma mit den Hauptleistungspflichten steht. Das Direktionsrecht erfasst sowohl den Inhalt und den Ort als auch die Lage der Arbeitszeit. Sofern die Parteien im Arbeitsvertrag keine Regelung hierzu getroffen haben, kann der Arbeitgeber also einseitig die Lage der Arbeitszeit bestimmen und mithin auch die Verteilung auf vier Tage festlegen.

Die Weisung muss jedoch billigem Ermessen entsprechen. Im Rahmen der Festlegung der Arbeitszeit sind dabei die betrieblichen Interessen gegen die Interessen des Arbeitnehmers abzuwägen. Dabei sind beispielsweise auch schutzwürdige familiäre Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, die bei der Einführung einer Vier-Tage-Woche mit zehn Stunden pro Arbeitstag wohl deutlich ins Gewicht fallen dürften.

Beraterhinweis
Das Vier-Tage-Modell bei Stundenreduzierung kann hingegen nicht mittels Weisungsrechts des Arbeitgebers einseitig durchgesetzt werden, da die Dauer der Arbeitszeit Teil des synallagmatischen Austauschverhältnisses und in der Regel auch arbeitsvertraglich festgelegt ist.

Sofern im Arbeitsvertrag eine bestimmte Arbeitszeit und deren Lage ohne den Vorbehalt einer anderweitigen Ausübung des Direktionsrechts vereinbart ist, ist die Arbeitszeitregelung so konkretisiert, dass der Arbeitgeber hiervon nicht einseitig abweichen kann. Hierfür ist dann vielmehr eine Vertragsänderung notwendig. Bei einem bereits bestehenden Arbeitsverhältnis muss dann eine den Arbeitsvertrag ergänzende bzw. ändernde Vereinbarung getroffen werden.

3. Tarifvertragliche Vereinbarung
Anstelle der Arbeitsvertragsparteien in einer einzelvertraglichen Vereinbarung können auch die Tarifvertragsparteien den Umfang und die grundsätzliche Verteilung der Arbeitszeit in Tarifverträgen regeln. Wenn sich die Tarifvertragsparteien auf die Einführung einer Vier-Tage-Woche einigen und im Tarifvertrag entsprechend die Arbeitszeit regeln, können die dem Geltungsbereich unterfallenden Arbeitsvertragsparteien hiervon nur...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.07.2023 14:50
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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