Otto Schmidt Verlag

LAG Baden-Württemberg v. 10.2.2023 - 12 Sa 50/22

Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer durch den Arbeitgeber

Hat der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer von den Einkünften des Arbeitnehmers einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, kann er bis zur Inanspruchnahme durch das Finanzamt vom Arbeitnehmer Freistellung von etwaigen Nachforderungen verlangen und nach Inanspruchnahme die Erstattung der gezahlten Lohnsteuern im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs. Die Regresspflicht des Arbeitnehmers besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber freiwillig oder auf Grund eines Haftungsbescheids die Steuernachforderung für den Arbeitnehmer erfüllt.

Der Sachverhalt:
Der Beklagte war bei der Klägerin von Oktober 2012 bis Januar 2022 als Customer Service Manager beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag vom 9.11.2012 war ein festes Jahresgehalt auf der Basis von 13 Monaten i.H.v. 64.800 € Brutto vereinbart. Der Beklagte ist US-Staatsbürger und war vor der Tätigkeit für die Klägerin für die US-Streitkräfte tätig. Er wohnt in Deutschland. Aufgrund dieser Umstände bestand zwischen den Parteien vor Abschluss des Arbeitsvertrags Unsicherheit über die steuerrechtliche Behandlung des Beklagten aufgrund einer möglichen Anwendbarkeit des NATO-Truppenstatuts.

Die Parteien tauschten die Ergebnisse ihrer Nachforschungen untereinander aus. Der Inhalt wurde aufgrund eines internen Versehens nicht an die für die Lohnabrechnungen zuständigen Mitarbeiter der Klägerin weitergeleitet. Von Beginn des Arbeitsverhältnisses bis einschließlich November 2020 wurde die Vergütung des Beklagten deshalb ohne Abzug von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlägen ausbezahlt. Lediglich Sozialversicherungsbeiträge wurden entrichtet. Nach einer Betriebsaußenprüfung für den Zeitraum 2016 bis 2019 erging gegenüber der Klägerin ein Haftungsbescheid der Finanzverwaltung. Ausgehend von einer unbeschränkten Steuerpflicht Lohnsteuer und Solidaritätszuschläge wurde ein Betrag von insgesamt 62.159 € nachgefordert.

Die Klägerin bezahlte die im Haftungsbescheid ausgewiesene Summe an das Finanzamt. Sie war der Ansicht, der Beklagte sei im Innenverhältnis der Gesamtschuldner voll zahlungspflichtig. Es handele sich um seine Steuern. Der Anspruch sei verschuldensunabhängig. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren werde die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung nicht überprüft. Im Übrigen sei es steuerrechtlich zutreffend, dass der Beklagte der unbeschränkten Steuerpflicht unterliege. Das NATO-Truppenstatut finde keine Anwendung.

Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten war in der Sache weit überwiegend erfolglos.

Die Gründe:
Die zulässige Klage war in der Hauptsache vollumfänglich begründet.

Die Klägerin kann vom Beklagten nach § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB Erstattung der geleisteten Lohnsteuernachzahlungen nebst Zinsen verlangen. Der Beklagte war als Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG allein Schuldner der Lohnsteuer. Die Klägerin war arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, diese zu übernehmen. Vorliegend schied die Annahme einer Nettolohnvereinbarung aus. Zudem war das Bestehen einer Steuerschuld des Beklagten Gegenstand eines regen Austauschs der Parteien vor Vertragsabschluss. Dem Arbeitsvertrag sowie dem vorvertraglichen Schriftverkehr war mithin klar zu entnehmen, dass der Beklagte nach dem Parteiwillen die Steuerlast tragen sollte und nicht die Klägerin.

Hat der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer von den Einkünften des Arbeitnehmers einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, kann er bis zur Inanspruchnahme durch das Finanzamt vom Arbeitnehmer Freistellung von etwaigen Nachforderungen verlangen und nach Inanspruchnahme die Erstattung der gezahlten Lohnsteuern im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs. Im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs haftet der Arbeitnehmer im Innenverhältnis voll. Die Regresspflicht des Arbeitnehmers besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber freiwillig oder auf Grund eines Haftungsbescheids die Steuernachforderung für den Arbeitnehmer erfüllt.

Einwendungen des Arbeitnehmers gegen die Feststellungen eines Haftungsbescheids sind im arbeitsgerichtlichen Regressverfahren - abgesehen von Fällen der offenkundigen Unrichtigkeit der steuerrechtlichen Bewertung - grundsätzlich nicht zulässig. Entsprechendes gilt bei einer freiwilligen Nachentrichtung von Lohnsteuer. Allein durch die Bekanntgabe eines Haftungsbescheids an den Arbeitgeber wird keine Frist für die öffentlich-rechtliche Anfechtung des Bescheids durch den Arbeitnehmer in Gang gesetzt. Die unterbliebene oder verzögerte In-Kenntnis-Setzung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bezüglich Existenz oder Inhalt eines Haftungsbescheids kann nicht zum Verlust des Anfechtungsrechts des Arbeitnehmers führen.

Ein Sorgfaltspflichtverstoß des Arbeitgebers bei der Abführung von Lohnsteuer ist für die Regresspflicht des Arbeitnehmers ohne Relevanz. § 254 BGB findet keine Anwendung. Ein solcher Sorgfaltspflichtverstoß des Arbeitgebers kann zu Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers führen. Die Lohnsteuer selbst stellt dabei jedoch keinen ersatzfähigen Schadensposten dar. Das Einverständnis des Arbeitgebers mit einem gegen ihn ergangenen Haftungsbescheid stellt keinen Vertrag mit dem Finanzamt zu Lasten des Arbeitnehmers dar. Einer vor Fälligkeit erfolgten Mahnung kommt auch nach dem Eintritt der Fälligkeit keine verzugsbegründende Wirkung zu.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.04.2023 14:15
Quelle: Landesrechtsprechung Baden-Württemberg

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