Otto Schmidt Verlag

LAG Rheinland-Pfalz v. 19.1.2023 - 5 Sa 135/22

Abfindung : Ablehnung eines Angebots?

Aus § 150 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass eine wirksame Annahme nur dann vorliegt, wenn sie dem Angebot entspricht, also mit diesem deckungsgleich ist. Jede Annahme unter inhaltlichen Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt dagegen als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag. Ob eine Abweichung vorliegt oder nicht, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (§ 133, 157 BGB) und beurteilt sich aus der Perspektive des Empfängerhorizonts, also aus Sicht der Beklagten.

Der Sachverhalt:
Der Kläger war seit 1989 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Er war wegen seines Alters und der Dauer der Betriebszugehörigkeit ordentlich unkündbar. Die Beklagte beschäftigte 140 Arbeitnehmer; es gab keinen Betriebsrat. Am 30.9.2020 hatte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung erteilt, weil er gegen die betriebliche Verhaltensregel zum Tragen von Mund- und Nasenschutz in der Corona-Pandemie verstoßen habe. Hiergegen ging der Kläger gerichtlich vor. Vom 28.9.2020 bis zum 7.5.2021 war er ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Am 10.5.2021 nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf. Am 19.7.2021 stellte ihn die Beklagte unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung frei.

Bereits im Januar 2021 hatten die Gesellschafter der Beklagten die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Geschäftsbetrieb mit Wirkung zum 31.8.2021 einzustellen. Nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige kündigte die Beklagte allen Arbeitnehmern. Dem Kläger kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 20.1.2021 außerordentlich unter Wahrung einer sozialen Auslauffrist zum 31.8.2021. Ab 21.1.2021 führten die Personalvorgesetzten mit den Arbeitnehmern Einzelgespräche über den Abschluss von Abwicklungsvereinbarungen. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig krank. Weil die Arbeitsunfähigkeit andauerte und sein Anwalt am 27.1.2021 um die Unterbreitung eines Abfindungsangebots bat, übersandte ihm die Beklagte umgehend den Entwurf einer sog. „Abwicklungsvereinbarung“ mit der Bitte, sie unterschrieben zurückzusenden.

Der Anwalt des Klägers signalisierte am 5.2.2021 gegenüber der Beklagten zwar grundsätzliches Interesse an einer Abwicklungsvereinbarung, jedoch nicht um jeden Preis und auch nicht im Ungewissen über die Höhe der Abfindung und der Modalitäten. Am 11.2.2021 erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, woraufhin die Beklagte den Vorschlag der Abwicklung zurücknahm. Am 19.3.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich nochmals mit Wirkung zum 31.10.2021. Zuletzt bot die Beklagte dem Kläger am 23.4.2021 eine Abfindung i.H.v. 37.880 € an. Dieses Angebot nahm der Kläger nicht an. Stattdessen forderte er gerichtlich, das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses festzustellen, hilfsweise gem. §§ 9, 10 KSchG aufgrund der angebotenen Abwicklungsvereinbarung vom 28.1.2021 die Zahlung einer Abfindung i.H.v. mind. 104.298 € brutto.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung bestätigt. Das Revisionsverfahren ist beim BAG unter dem Az.: 1 AZN 183/23 anhängig.

Die Gründe:
Für die auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 20.1.2021 mit Auslauffrist bestand wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Abfindung analog § 1a KSchG.

Die Beklagte hatte dem Kläger nach dem eindeutigen Wortlaut des Kündigungsschreibens vom 20.1.2021 kein Angebot analog § 1a KSchG unterbreitet. Sie hatte dem Kläger vielmehr mit Schreiben vom 28.1.2021 eine Abwicklungsvereinbarung angeboten. Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage war dabei unschädlich. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger keinen vertraglichen Anspruch auf eine Abfindung hat, weil er das am 28.1.2021 unterbreitete Angebot der Beklagten auf eine „Abwicklungsvereinbarung“ abgelehnt hatte.

Ein Vertrag kommt gem. § 145 BGB durch Angebot und Annahme des Angebots zustande. Die Beklagte hatte dem Kläger ihr Vertragsangebot am 28.1.2021 unterbreitet. Dieses Angebot hat der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 5.2.2021 nicht so angenommen, wie es ihm gemacht worden war. Das bedeutete rechtlich, dass er das Vertragsangebot der Beklagten abgelehnt hat. Das ursprünglich von der Beklagten gemachte Angebot war damit erledigt (§ 150 Abs. 2 BGB).

Entgegen der Ansicht des Klägers war das Schreiben seines Anwalts als Ablehnung zu qualifizieren. Aus § 150 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass eine wirksame Annahme nur dann vorliegt, wenn sie dem Angebot entspricht, also mit diesem deckungsgleich ist. Jede Annahme unter inhaltlichen Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt dagegen als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag. Ob eine Abweichung vorliegt oder nicht, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (§ 133, 157 BGB) und beurteilt sich aus der Perspektive des Empfängerhorizonts, also aus Sicht der Beklagten. Und nach diesen Grundsätzen hat der Kläger das Angebot der Beklagten abgelehnt.

Mehr zum Thema:

Kommentierung
Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 10. Aufl. 2022

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.04.2023 09:35
Quelle: Landesrecht Rheinland-Pfalz

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