Otto Schmidt Verlag

ArbG Weiden v. 13.3.2023 - 3 Ca 556/22

Folgenschwere Gaudi unter Maurern – Kündigung nach sexueller Belästigung

Bei Maurern handelt es sich eher um „Männer der Tat“ als der stets vornehmen Umgangsformen und in der Baubranche herrscht ein rauerer Umgangston als etwa in einer Bank. Dies bedeutet zwar nicht, dass deshalb Herabwürdigungen folgenlos hinzunehmen sind. Bei der Gewichtung der Schwere eines Verstoßes sind diese Umstände aber durchaus mildernd einzukalkulieren.

Der Sachverhalt:
Der zum maßgeblichen Zeitpunkt 55-jährige Kläger war seit Anfang 2018 bei der Beklagten als Maurer beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Die Beklagte ließ das klägerische Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 18.8.2022 außerordentlich fristlos kündigen. Zur Begründung der Kündigung war ausgeführt worden, dass der Kläger am 9.8.2022 das Fahrzeug des Mitarbeiters M. geöffnet, anschließend seine Hose aufgemacht habe und in das Fahrzeug seine Notdurft habe verrichten wollen, was er aber abgebrochen habe, da er beobachtet worden sei.

Dagegen wehrte sich der Kläger mit Kündigungsschutzklage vom 26.8.2022. Er gab an, die Vorhaltungen seien so nicht richtig. Er habe sich zwar tatsächlich an das Auto gestellt, die Türe vorher geöffnet und so getan, als ob er die Hose öffnen und reinpinkeln wollte. Dies sei aber nur eine Gaudi bzw. einfach ein derber Spaß gewesen. Der Kläger habe weder seine Hose geöffnet, noch vorgehabt, sie zu öffnen und er habe natürlich auch nicht in das Fahrzeug pinkeln wollen. Auch auf dem von der Beklagten vorgelegten Video sei zu sehen, dass alle anderen anwesenden Personen ständig lachten und das Ganze offensichtlich auch nur als Spaß auffassten. In der Kürze der Zeit wäre es auch überhaupt nicht gegangen, die Hose aufzumachen und im Fahrzeug seine Notdurft zu verrichten.

Der Kläger war der Ansicht, die Kündigung sei insgesamt unwirksam und sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte war der Auffassung, das krasse Fehlverhalten des Klägers rechtfertige eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung. Ein derart respektloses Verhalten könne nicht geduldet werden. Die Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht war zum Teil erfolgreich.

Die Gründe:
Die außerordentliche fristlose Kündigung war unwirksam, da kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB hierfür vorgelegen hatte.

Dass der Kläger vor anderen seine Genitalien entblößt und damit bewusst die Fahrerinnentüre berührt hatte, stand zur Überzeugung des Gerichts nach den Zeugenaussagen fest. Ob er hierfür die Hose ganz oder teilweise geöffnet bzw. teilweise heruntergezogen hatte, spielte keine Rolle. Die von den Zeugen geschilderte „Aktion“ war jedenfalls bei einem nur teilweisen Herunterziehen der Hose in der gegebenen Zeit durchaus möglich und nach den glaubwürdigen Zeugen eben auch erfolgt. Dies stellte einen Sachverhalt dar, der „an sich“ für eine fristlose Kündigung geeignet ist. Auf eine strafrechtliche Bewertung kam es dabei nicht an. Der Kläger hat mit seinem Vorgehen ein grob respektloses und beleidigendes Verhalten gegenüber dem Zeugen M. gezeigt, indem er diesen vor anderen als Schwein bezeichnet und bewusst dessen Auto in ekelerregender Weise an der Innenverkleidung der Fahrertüre mit seinen Genitalien berührt hatte. Aus Sicht des Gerichts lag überdies eine sexuelle Belästigung der Kollegen durch den Kläger gem. S. 3 IV AGG vor.

Auf Vorsatz oder darauf, wie der Kläger selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben mag bzw. verstanden wissen wollte, kam es gerade nicht an (vgl. BAG vom 29.6.2017, 2 AZR 302/16). Im Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung liegt zugleich die Verletzung der Würde der betroffenen Personen i.S.d. § 3 IV AGG. Auch insofern lag gem. § 7 III AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Kläger vor, die „an sich“ als wichtiger Grund geeignet ist. Der Arbeitgeber ist nach § 12 1 und III AGG gerade verpflichtet, Arbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu schützen und gegebenenfalls auch angemessene Maßnahmen zu ergreifen.

Eine außerordentliche fristlose Kündigung war bei Berücksichtigung aller Umstände des Streitfalls und nach Abwägung der gegenteiligen Interessen der Parteien gleichwohl nicht gerechtfertigt. Eine Gesamtbetrachtung aller ersichtlichen Umstände führte zur Überzeugung des Gerichts im Ergebnis dazu, dass der Beklagten eine Fortsetzung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre. Vorliegend wäre die ordentliche Kündigung zum 30.9.2022 ein milderes und ausreichendes Mittel gewesen, um künftige Vertragsstörungen durch den Kläger zu vermeiden. Der Kläger ging nicht heimlich vor und wollte offenbar auch keine grobe Verunreinigung (Notdurft) produzieren. Vielmehr stellte sich die Aktion nach Einsicht des Videos als schlechter Scherz zu Lasten anderer dar. Bei den Mitarbeitern der Beklagten handelt es sich eher um „Männer der Tat“ als der stets vornehmen Umgangsformen und in der Baubranche herrscht ein rauerer Umgangston als etwa in einer Bank. Dies bedeutet zwar nicht, dass deshalb Herabwürdigungen folgenlos hinzunehmen sind. Bei der Gewichtung der Schwere eines Verstoßes sind diese Umstände aber durchaus mildernd einzukalkulieren.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.04.2023 12:32
Quelle: Bayern.Recht

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