Otto Schmidt Verlag

LSG Niedersachsen-Bremen v. 26.1.2023 - L 11 AS 336/21

Erstattungsforderung des Jobcenters: Fehlender Arbeitsantritt als sozialwidriges Verhalten?

Das LSG Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die unterlassene Aufnahme einer Arbeit jedenfalls dann kein sozialwidriges Verhalten darstellt, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet.

Der Sachverhalt:
Zugrunde lag das Verfahren eines Langzeitarbeitslosen (geb. 1962) aus Osnabrück, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedene Hilfsarbeiten u.a. in Lagerwirtschaft, Gebäudereinigung und Supermarkt. Der Mann bewarb sich viele Jahre erfolglos auf Stellen als Buchhalter bis das Jobcenter schließlich ab 2017 keine weiteren Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen übernahm. Es müsse ein Strategiewechsel stattfinden, zumal der Bewerber zu Vorstellungsgesprächen insbesondere wegen seiner Gleichstellung als Schwerbehinderter eingeladen werde und Bewerbungen als Buchhalter nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend seien. Überraschend erhielt der Mann dennoch 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte.

2020 machte das Jobcenter gegenüber dem Mann eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei und damit vorsätzlich das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhindert habe. Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rd. 6.800 € erstatten. Hiergegen klagte der Mann, denn der fehlende Arbeitsantritt habe nicht in seinem Verschulden gelegen. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei.

Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt.

Die Gründe:
Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stellt kein sozialwidriges Verhalten im Sinne eines objektiven Unwerturteils dar, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten kann, weil ihm selbst die Mittel für eine Mietkaution fehlen und das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt hat.

Mehr zum Thema:

Kurzbeitrag:
Gericht bejaht Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens
IWWERBBSTG 2019, 080

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.03.2023 16:09
Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen PM vom 13.3.2023

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