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Aktuell im ArbRB

People Analytics bei der personenbedingten Kündigung - Warum Computer keine Kündigungsentscheidungen treffen dürfen (Dzida, ArbRB 2023, 84)

People Analytics und künstliche Intelligenz sind aus Personalab-teilungen nicht mehr wegzudenken. Viele Personaler setzen diese Tools als zusätzliche Erkenntnisquelle für die Entscheidungsfin-dung ein. Rechtlich problematisch wird es, wenn der Computer an-stelle des Menschen Entscheidungen über die Kündigung von Ar-beitsverhältnissen oder über sonstige Personalmaßnahmen trifft. Der Beitrag nimmt ein aktuelles Urteil des Hessischen LAG zu diesem Thema in den Blick.

I. Ausgangspunkt: Urteil des Hessischen LAG
1. Sachverhalt
2. Vortrag der Arbeitgeberin
3. Entscheidung des Gerichts
II. Einsatz von People Analytics im Rahmen von Kündigungen
1. Kündigungsschutzprozess
a) Umfang der Darlegungslast
b) Auswirkungen auf den Prozessverlauf
2. Vorbereitung der Kündigungsentscheidung
III. Unzulässigkeit automatisierter Kündigungsentscheidungen
IV. Fazit


I. Ausgangspunkt: Urteil des Hessischen LAG

Dass eine personenbedingte Kündigung nicht allein mit dem Ergebnis eines People-Analytics-Testverfahrens begründet werden darf, illustriert ein Urteil des Hessischen LAG aus dem Jahr 2021. Eine Fluggesellschaft hatte einer Flugbegleiterin gekündigt. Grund hierfür war, dass die Flugbegleiterin aufgrund eines IT-gestützten Testverfahrens als potentielle „Innentäterin“ identifiziert worden war. Bei „Innentätern“ besteht die Gefahr, dass sie aufgrund einer Radikalisierung im Extremfall terroristische Handlungen begehen.

1. Sachverhalt
Bei dem IT-gestützten Test hatte die Flugbegleiterin ca. 200 Fragen zur Selbsteinschätzung zu beantworten. Ein von der Fluggesellschaft beauftragter externer Dienstleister wertete den Test anschließend automatisch aus. Die dabei ermittelten Ergebnisse wurden anhand eines Ampelsystems (grün, gelb oder rot) angezeigt. Bei der Flugbegleiterin ergab sich ein „rotes“ Testergebnis, welches sie als potentielle Gefahr für die Sicherheit („Innentäterin“) identifizierte. Gegen die darauf gestützte Kündigung erhob die Flugbegleiterin Kündigungsschutzklage.

2. Vortrag der Arbeitgeberin
In dem Kündigungsschutzverfahren machte die Fluggesellschaft geltend, dass aufgrund des IT-gestützten Analyseverfahrens festgestellt worden sei, dass von der Flugbegleiterin eine konkrete potentielle Gefahr für die Sicherheit ausgehe. Die Fluggesellschaft legte jedoch nicht dar, auf welchen wissenschaftlichen Erwägungen der Test basierte, welche Fragen die Flugbegleiterin zu beantworten hatte und welche Erkenntnisse mit welchen Antworten bzw. Antwortkombinationen einhergingen. Diese Darlegung war der Fluggesellschaft nicht möglich, da der externe Dienstleister ihr nur das Testergebnis übermittelte.

Die Fluggesellschaft machte geltend, dass das von einem zuverlässigen Dienstleister unter Einsatz von psychologischen Experten zur Erkennung von Gewalt und Radikalisierungspotential entwickelte Testverfahren dazu geeignet sei, potentielle „Innentäter“ zu identifizieren. Hierdurch könnten Sicherheitsgefahren – bis hin zur Gefahr terroristischer Handlungen – rechtzeitig erkannt und reduziert werden. Durch das „rote“ Testergebnis liege eine greifbare Tatsache vor, welche Sicherheitsbedenken begründeten und eine Weiterbeschäftigung der Flugbegleiterin unzumutbar machten.

3. Entscheidung des Gerichts
Das Hessische LAG gab der Kündigungsschutzklage statt. Eine personenbedingte Kündigung setze im Rahmen der dreistufigen Prüfung ihrer sozialen Rechtfertigung zunächst voraus, dass der Arbeitnehmer die erforderliche Eignung oder Fähigkeit nicht (mehr) besitze, die geschuldete Arbeitsleistung vertragsgerecht zu erbringen. Sicherheitsbedenken können eine solche Nichteignung begründen. Jedoch müssen sie auf Tatsachen gestützt sein, welche die Prognose rechtfertigen, dass der Arbeitnehmer in Zukunft berechtigte Sicherheitsinteressen des Arbeitgebers beeinträchtigen werde. Diesen Anforderungen werde die Darlegung der Fluggesellschaft nicht gerecht.

Der bloße Vortrag, dass ein IT-gestütztes Analyseverfahren ein negatives Testergebnis („rote Ampel“) ergeben habe, ermögliche es dem Gericht nicht, die Schlüssigkeit der behaupteten Sicherheitsgefährdung inhaltlich zu prüfen. Die Fluggesellschaft habe noch nicht einmal vorgetragen, aufgrund welcher Antworten auf welche Fragen das IT-gestützte Testverfahren zu der Einschätzung gekommen sei, dass von der Flugbegleiterin eine Sicherheitsgefahr ausgehe.

Beraterhinweis
Eine personenbedingte Kündigung kann im Kündigungsschutzprozess nicht allein darauf gestützt werden, dass ein People-Analytics-Tool das Fehlen einer erforderlichen Eignung oder Fähigkeit des Arbeitnehmers ermittelt hat.

II. Einsatz von People Analytics im Rahmen von Kündigungen

1. Kündigungsschutzprozess

Da die Darlegung des bloßen Ergebnisses eines IT-gestützten Analyseverfahrens im Kündigungsschutzprozess nicht ausreicht, stellt sich die Frage, ob...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.03.2023 17:10
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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