Otto Schmidt Verlag

BGH v. 24.1.2023 - VI ZR 152/21

Nicht mehr vermittlungsfähiger Geschädigter muss nicht auf Eigeninitiative eine neue Arbeit suchen

Von einem Geschädigten, der vom Arbeitsamt aufgrund seines Gesundheitszustandes für nicht mehr vermittlungsfähig gehalten wird, kann grundsätzlich keine weitere Eigeninitiative hinsichtlich der Aufnahme von Erwerbstätigkeit erwartet werden. Unter diesen Umständen besteht grundsätzlich auch keine weitere Darlegungslast dazu, was der Geschädigte unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz zu erhalten.

Der Sachverhalt:
Der klagende Rentenversicherungsträger verlangte von dem beklagten Kfz-Haftpflichtversicherer aus übergegangenem Recht die Erstattung von Leistungen, die er an seine Versicherte (Geschädigte) aufgrund eines Verkehrsunfalls erbracht hat. Die Geschädigte war 2001 bei einem Verkehrsunfall mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug schwer verletzt worden. Aufgrund einer Beinverkürzung links wurde ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Die Geschädigte verlor unfallbedingt ihren Arbeitsplatz als Bürokauffrau.

Im Dezember 2006 nahm das Arbeitsamt die Geschädigte aus der Vermittlung heraus, da sie - nach Begutachtung durch einen Arzt - nicht mehr für vermittlungsfähig erachtet wurde. Anschließend wurde Anfang des Jahres 2007 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt. Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin von der Beklagten die Erstattung der von ihr an die Geschädigte erbrachten Leistungen im Zeitraum von Januar 2005 bis August 2018 (u.a. Rentenzahlungen wegen Erwerbsminderung, Beiträge zur Krankenversicherung, Aufwendungen für Rehabilitationsmaßnahmen) i.H.v 185.849 €. Demgegenüber rügte die Beklagte die Verletzung der der Geschädigten obliegenden Schadensminderungspflicht, weil diese sich nicht bemüht habe, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Das LG hat der Klage vollständig stattgegeben. Das OLG hat die Klage bis auf einen Betrag von 1.303 € abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil soweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin entschieden worden war und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Gründe:
Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Erstattungsanspruch der Klägerin nach §§ 7, 18 StVG, § 823 BGB i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG aF, §§ 116, 119 SGB X nicht verneint werden. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach Ersatzansprüche der Klägerin wegen auf sie übergegangener Ansprüche der Geschädigten auf Ersatz des Verdienstausfallschadens aufgrund des unfallbedingten Verlustes ihres Arbeitsplatzes für die Jahre 2006 bis 2018 nicht bestünden, weil die Geschädigte und die Klägerin in diesen Jahren gegen ihre Schadensminderungspflichten verstoßen hätten, ist rechtsfehlerhaft.

Das Berufungsgericht hat die Reichweite der im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB bestehenden Obliegenheiten des Geschädigten um Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht richtig erfasst und in der Folge auch die Anforderungen an die insoweit bestehende sekundäre Darlegungslast der Klägerin überspannt. Von einem Geschädigten, der vom Arbeitsamt aufgrund seines Gesundheitszustandes für nicht mehr vermittlungsfähig gehalten wird, kann grundsätzlich keine weitere Eigeninitiative hinsichtlich der Aufnahme von Erwerbstätigkeit erwartet werden. Unter diesen Umständen besteht grundsätzlich auch keine weitere Darlegungslast dazu, was der Geschädigte unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz zu erhalten (Bestätigung Senatsurteil v. 9.10.1990 - VI ZR 291/89).

Unabhängig davon ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft, eine nicht hinreichende Erklärung der Klägerin im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast führe ohne weiteres zur Klageabweisung, weil nicht festgestellt werden könne, ob und in welcher Höhe ein Anspruch entstanden und auf die Klägerin übergegangen sei. Damit verkennt das Berufungsgericht die Wirkung der sekundären Darlegungslast des Anspruchstellers im Falle eines vom Inanspruchgenommenen behaupteten Obliegenheitsverstoßes hinsichtlich der Schadensminderung. Verstößt der Geschädigte gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht, weil er es unterlässt, einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen, sind die erzielbaren (fiktiven) Einkünfte auf den Schaden anzurechnen. Eine quotenmäßige Anspruchskürzung kommt grundsätzlich nicht in Betracht.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.03.2023 13:46
Quelle: BGH online

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