Otto Schmidt Verlag

LAG Hamm v. 8.2.2023 - 12 Ta 233/22

Erteilung einer „ordnungsgemäßen“ Abrechnung nach § 108 GewO ist ausreichend bestimmt

Ein Titel, der zur Erteilung einer „ordnungsgemäßen“ Abrechnung nach § 108 GewO verpflichtet, ist bestimmt genug und daher zur Zwangsvollstreckung geeignet (Abgrenzung zu LAG Hamm, 24.6.2019 – 12 Ta 184/19). Der Anspruch nach § 108 GewO stellt keinen selbständigen Abrechnungsanspruch zur Vorbereitung eines Zahlungsanspruchs dar, sondern eine reine Wissenserklärung und keine Willenserklärung.

Der Sachverhalt:
Mit Urteil vom 14.2.2022 war die Schuldnerin - mittlerweile rechtskräftig - verurteilt worden, der Gläubigerin u.a. „ordnungsgemäße“ Abrechnungen zu erteilen, auch über die abzuführenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Den Anspruch hat das Arbeitsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe auf § 108 GewO gestützt. In dem Verfahren stritten die Parteien über die Höhe der Vergütung vor dem Hintergrund einer streitigen Kurzarbeitsvereinbarung. Im Laufe des Rechtsstreits erbrachte die Schuldnerin Nachzahlungen, erteilte jedoch keine aktualisierten Abrechnungen.

Die Gläubigerin leitete daraufhin das Zwangsvollstreckungsverfahren hinsichtlich der nicht korrigierten Abrechnungen trotz Zahlung ein. Mit Beschluss vom 3.6.2022 setzte das Arbeitsgericht gegen die Schuldnerin zur Erzwingung der Verpflichtung aus dem Urteil, Abrechnungen zu erteilen, ein Zwangsgeld i.H.v. 400 € fest. Gegen diesen Beschluss legte die Schuldnerin sofortige Beschwerde ein und begründete sie später damit, dass Berufung gegen das Urteil eingelegt worden sei.

Das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde der Schuldnerin nicht ab. Das LAG bestätigte die Entscheidung.

Die Gründe:
Das Arbeitsgericht hat zu Recht ein Zwangsgeld festgesetzt.

Der Vollstreckungstitel ist ausreichend bestimmt und daher für die Vollstreckung geeignet. Durch den Vollstreckungstitel werden in objektiver Hinsicht Inhalt und Umfang der Zwangsvollstreckung festgelegt. Der vollstreckungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz ist daher nicht anders zu verstehen als die Bestimmtheit nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wonach die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag enthalten muss. Hinreichend bestimmt ist der Tenor, wenn der ausgeurteilte Anspruch konkret bezeichnet ist und eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren ermöglicht (vgl. BAG 31.05.2012 – 3 AZB 29/12).

Der Grundsatz, dass das Vollstreckungsverfahren formalisiert ist, beinhaltet damit auch das Erfordernis, zwischen dem Erkenntnisverfahren und dem Vollstreckungsverfahren trennscharf zu unterscheiden. Gegenüber dem Erkenntnisverfahren hat das Vollstreckungsverfahren wesentliche geringere Erkenntnismöglichkeiten, da in der Regel nicht mündlich verhandelt wird und auf die üblichen Beweismittel nicht zurückgegriffen werden kann. Nach der BAG-Rechtsprechung liegt daher ein vollstreckbarer Titel vor, wenn das, was der Schuldner zu leisten hat, aus dem Titel selbst eindeutig bestimmt werden kann (vgl. BAG, 28.2.2003 – 1 AZB 53/02). Der Inhalt des Titels muss aus sich heraus jedem Dritten verständlich sein. Dabei können Tatbestand und Entscheidungsgründe zur Auslegung herangezogen werden (vgl. BAG 16.12.2021 - 2 AZR 235/21).

Diesen Anforderungen wird der vorliegende Tenor gerecht. Dem steht die Tenorierung „ordnungsgemäß Abrechnung“ nicht entgegen. Zu unterscheiden ist zwischen der Abrechnung des Arbeitsentgelts nach § 108 GewO und dem allgemeinen Abrechnungsanspruch. Bei letzterem wird zurecht angenommen, dass die Verurteilung, das Arbeitsverhältnis „ordnungsgemäß“ abzurechnen, zu unbestimmt ist (vgl. BAG 25.4.2001 – 5 AZR 395/99; LAG Hamm, 24.6.2019 – 12 Ta 184/19), weil im Vollstreckungsverfahren nicht überprüft werden kann, was „ordnungsgemäß“ ist. Diese vorausschauende Abrechnung dient dazu, Zahlungsansprüche, die noch nicht befriedigt worden sind, einer Bezifferung zugänglich zu machen.

Demgegenüber verfolgt die Abrechnung nach § 108 GewO andere Zwecke. Diese eröffnet dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu erkennen, warum er gerade den ausgezahlten Betrag erhält. (vgl. BAG, 12.10.2022 – 10 AZR 496/21). Der Arbeitnehmer soll erkennen können, wie sich aus dem zugrunde gelegten Bruttobetrag der zur Auszahlung gelangte Nettobetrag ergibt, ob und in welcher Höhe der Arbeitgeber Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat. Insofern stellt der Anspruch nach § 108 GewO keinen selbständigen Abrechnungsanspruch zur Vorbereitung eines Zahlungsanspruchs dar, sondern eine reine Wissenserklärung und keine Willenserklärung (vgl. BAG 5.7.2012 – 4 AZR 867/16). Diese unterschiedlichen Zielsetzungen sind bei Beurteilung des Begriffs „ordnungsgemäß“ zu berücksichtigen. Was eine „ordnungsgemäße Abrechnung“ ist, ergibt sich aus § 108 GewO selbst. Der Begriff hat im Gesetz in Abs. 2 seinen Niederschlag gefunden.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.03.2023 10:03
Quelle: Justiz NRW

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