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Von der späten Entlassung zur frühzeitigen Rente – eine wissenschaftliche Analyse des „Mannheimer Modells“ (Husemann, ZFA 2023, 7)

Das sog. „Mannheimer Modell“ beinhaltet alternative Verwendungsmöglichkeiten für diejenigen finanziellen Mittel, die der Arbeitgeber am Ende eines Arbeitsverhältnisses ansonsten als Abfindung bereitgestellt hätte. Für ältere Arbeitnehmer kann auf diesem Wege auch ein längerer Zeitraum bis zur Inanspruchnahme der Altersrente überbrückt werden. Diese Vorgehensweise stimmt – obwohl dies bei der Schaffung der entsprechenden Normen nicht vorgesehen war – mit der jeweiligen gesetzgeberischen Intention überein.

I. Ausgangssituation
II. Das Mannheimer Modell – eine Betrachtung in Phasen

1. Phase 1: Transfergesellschaft
2. Phase 2: Arbeitslosengeld
3. Phase 3: Arbeitslosengeld II
4. Phase 4: Inanspruchnahme des Wertguthabens
a) Schaffung des Wertguthabens
aa) Arbeitsentgelt vs. Abfindung
bb) Ergebnis
b) Steuerliche Behandlung
aa) Ausgangspunkt Fünftelregelung
bb) Vorteile und Grenzen der Fünftelregelung
cc) Steuerliche Behandlung des Wertguthabens
dd) Sozialversicherungsrechtliche Behandlung des Wertguthabens
c) Gegenrechnung: Zeit als Privatier
5. Phase 5: Vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente/Ausgleichszahlung
a) Ausgangspunkt
b) Ausgleich der Rentenkürzung
c) Voraussetzungen des § 187a SGB VI
aa) Berechtigtes Interesse
bb) Erklärung
cc) Folge
d) Steuerliche Behandlung
aa) Zahlung durch Arbeitgeber: § 3 Nr. 28 EStG
bb) Zahlung durch Arbeitnehmer: § 10 Abs. 1 Nr. 2a EStG
e) Keine eigene Phase: Freiwillige Einzahlungen
6. Phase 6: Altersrente
III. Variablen des Mannheimer Modells
1. Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel
2. Zeit bis zum (vorzeitigen) Renteneintritt
3. Zu erzielende Steuerersparnis
4. Persönliche Situation des Arbeitnehmers
IV. Zwischenfazit
V. Das Mannheimer Modell – Vereinbarkeit mit der gesetzgeberischen Intention

1. § 111 SGB III: Transferkurzarbeitergeld vs. Frühverrentung
a) Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
b) Ziel der (schnellen) Vermittlung
c) Keine Frühverrentung
2. Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II
a) Vermittlung und Bereitschaft
b) Leistungsbezug und Mannheimer Modell
aa) Grundannahme zur Motivation
bb) Mannheimer Modell und Motivation
c) Arbeitslosengeld und fehlende Motivation
aa) Das BridgeSystem
bb) Der Gesetzesentwurf zum Brückengeld
cc) Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen
dd) Zeitliche Verlagerung der Motivationslücke
d) Zwischenergebnis
e) Übertragbarkeit auf Transferkurzarbeitergeld
3. Inanspruchnahme des Wertguthabens
a) Ausgangskonstellation
b) Wertguthaben und Mannheimer Modell
aa) Einmalzahlung
bb) Einstellung der aktiven Erwerbstätigkeit
cc) Nutzung unmittelbar vor Rentenbeginn
c) Ergebnis
4. Ausgleichzahlungen an die DRV
a) § 187a SGB VI
b) Herkunft der Mittel
c) § 3 Nr. 28 EStG
d) Ergebnis
VI. Analyse der rechtlichen Grundlagen: Ergebnisse und zukünftiger Handlungsbedarf
1. Ergebnisse
2. Zukunft: Zwischen Abfindung und Frühverrentung
a) Abfindung
b) Parameter der Abfindungsverhandlungen
aa) „Bestandsschutz“
bb) „Interesse des Arbeitnehmers an Weiterbeschäftigung“
cc) „Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung“
dd) „Einfluss Dritter“
ee) Position des Mannheimer Modells
ff) Sondersituation Sozialplanverhandlung
c) Frühverrentung
aa) Frühverrentung in den 1990er Jahren
bb) Die gesetzgeberische Reaktion
VII. Gesamtergebnis


I. Ausgangssituation

Am Anfang steht das Ende. Das Ende des Arbeitsverhältnisses nach langjähriger Tätigkeit und die für ältere Arbeitnehmer nach wie vor schwierige Situation, eine neue Tätigkeit zu finden. Unabhängig von der Möglichkeit, anderswo zu arbeiten, fehlt vielen wohl auch die Motivation, nach einer bisweilen 20- oder 30-jährigen Tätigkeit nochmal von vorne zu beginnen – zumal, wenn sich dort nicht das Gehalt erzielen lässt, das zuvor, auch wegen der langen Betriebszugehörigkeit, erzielt wurde.

Das ist die Gemengelage, in der das Mannheimer Modell helfen soll und helfen kann. Durch eine Kombination verschiedener Möglichkeiten, die das Sozialrecht für diese Situation bietet, ermöglicht es Arbeitnehmern einen fließenden Übergang in die Zeit als Rentner. Selbst wenn diese bei ihrer Entlassung noch einige Jahre vom Erreichen der regulären Altersrente entfernt sind, müssen die gekündigten Arbeitnehmer weder erneut tatsächlich arbeiten noch empfindliche Kürzungen ihrer Renten hinnehmen. An dieses Ziel knüpft das Mannheimer Modell nur eine – aber unverzichtbare – Voraussetzung: Die Bereitschaft des letzten Arbeitgebers, sich finanziell zu engagieren. Wenn sich das finanzielle Engagement – wie häufig – auch an der Betriebszugehörigkeit orientiert, kommen mitunter Beträge zusammen, die es dem Arbeitnehmer ermöglichen, ohne schmerzhafte Einkommensverluste aus dem aktiven Arbeitsleben auszuscheiden. Voraussetzung ist allerdings, dass er sich für die Nutzung des Mannheimer Modells entscheidet und gegen die sofortige Auszahlung des Abfindungsbetrages.

Die Funktionsweise des Mannheimer Modells und insbesondere die Möglichkeit, damit Steuern zu sparen, ist an anderer Stelle bereits ausführlich und gut dargestellt worden. Bisher fehlt jedoch eine Darstellung, die den Fokus auf die unterschiedlichen Phasen legt, die der Arbeitnehmer von der Entlassung bis zur Inanspruchnahme der regulären Altersrente durchlaufen kann.

II. Das Mannheimer Modell – eine Betrachtung in Phasen
Wäre das Modell nach der Stätte seines ersten Einsatzes und nicht nach dem Arbeitsort der Entwickler benannt, dann müsste es Philippsburger Modell heißen. Als Goodyear seine Reifenfabrik im Jahr 2017 schloss, ging es in den Sozialplanverhandlungen darum, den älteren Mitarbeitern einen leichten Übergang in die Rente zu ermöglichen. Das gelang mithilfe des Mannheimer Modells.

Voraussetzung war – neben einem rentennahen Lebensalter – die Entscheidung der meisten Mitarbeiter, sich die finanziellen Mittel, die der Arbeitgeber bereitstellte, nicht sofort als Abfindung auszahlen zu lassen, sondern stattdessen dafür zu nutzen, um ohne (große) Einschränkungen bei der späteren Rente sofort aus dem aktiven Erwerbsleben auszuscheiden.

Bei den Verhandlungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist also zunächst die Frage entscheidend, wie viel Zeit bis zur Rente zu überbrücken ist. Je länger diese Zeitspanne ist, die den Arbeitnehmer von der regulären Rentenzahlung trennt, desto mehr Phasen muss der Arbeitnehmer durchlaufen. Die Länge der einzelnen Phasen kann sich darüber hinaus von Fall zu Fall unterscheiden. Der Arbeitnehmer kann bis zu fünf Phasen durchlaufen, bevor er die sechste Etappe, den regulären Bezug der Altersrente, erreicht.

1. Phase 1: Transfergesellschaft
Zunächst besteht die Möglichkeit – so war es auch in Philippsburg – Arbeitnehmer in einer Transfergesellschaft zu beschäftigen. Verbunden damit ist der Bezug von Transferkurzarbeitergeld für diese Zeit. Das wird unter den Voraussetzungen des § 111 SGB III
von der Bundesagentur für Arbeit getragen und unterscheidet sich von dem erneut in der Coronakrise häufig genutzten Kurzarbeitergeld nach § 95 ff. SGB III vor allem dadurch, dass ihm die sog. Brückenfunktion fehlt. Mit dem Bild der Brücke wird der Umstand beschrieben, demzufolge das Kurzarbeitergeld eine Brücke über das Tal des Beschäftigungsausfalls bilden soll, die wieder in der Zeit eines ausreichenden Beschäftigungsumfangs endet und auf diesem Wege hilft, den Arbeitsplatz trotz einer vorübergehenden Krise zu erhalten.

Voraussetzung für das Transferkurzarbeitergeld ist nach § 111 Abs. 1 Nr. 1 SGB III demgegenüber, dass die Arbeitnehmer von einem dauerhaften Arbeitsausfall betroffen sind. Transferkurzarbeitergeld wird längstens für ein Jahr i.H.v. 67 bzw. 60 Prozent der Nettoentgeltdifferenz gewährt. Ein Jahr, das die erste Phase des Mannheimer Modells beschreibt. Weder die Zeit in der Transfergesellschaft noch die Inanspruchnahme des Transferkurzarbeitergeldes haben Einfluss auf die späteren Phasen des Mannheimer Modells.

2. Phase 2: Arbeitslosengeld
Das Mannheimer Modell – das wird insbesondere der Blick auf die vierte Phase zeigen – kann dem Arbeitnehmer den Weg zur Arbeitsagentur bzw. Jobcenter ersparen. Wenn die finanziellen Mittel aber nicht ausreichen, um die Zeit bis zum vorzeitigen Renteneintritt zu überbrücken, dann kann auch der Bezug von Arbeitslosengeld ein Teil des Modells sein und die finanzielle Grundlage für eine Phase bilden.

Das Arbeitslosengeld, das die Arbeitnehmer nach Ausscheiden aus der Transfergesellschaft und dem Arbeitsverhältnis beziehen können, entspricht im Umfang ungefähr dem Kurzarbeitergeld und kann von diesen für (maximal) 24 weitere Monate bezogen werden. Dazu müssen die Arbeitnehmer nach § 147 Abs. 2 SGB III mindestens 48 Monate beschäftigt und 58 Jahre alt sein. Ist das der Fall, können sie auf diesem Weg weitere zwei Jahre überbrücken. Im Gegenzug müssen sie allerdings den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur zur Verfügung stehen, die je nach Einzelfall...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.02.2023 17:08
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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