Otto Schmidt Verlag

LSG Niedersachsen-Bremen v. 26.1.2023 - L 11 AS 346/22

Hartz IV und die Folgen eines Ausbildungsabbruchs

Die Rückforderung von Grundsicherungsleistungen wegen sozialwidrigen Verhaltens kann gegen das Übermaßverbot verstoßen.

Der Sachverhalt:
Geklagt hatte ein heute 28-jähriger, ungelernter Langzeitarbeitsloser aus Salzgitter, der langjährig Grundsicherungsleitungen bezieht. Im Jahre 2012 verlor er seinen Ausbildungsplatz wegen wiederholten, unentschuldigten Fehlens am Arbeitsplatz. Zeitnah verhängte das Jobcenter wegen des Ausbildungsabbruchs eine 30%-Sanktion. Darüber hinaus verlangte es in der Folgezeit die Rückzahlung der über mehrere Jahre gewährten Grundsicherungsleistungen von rd. 51.000 €. Da er seine Hilfebedürftigkeit grob fahrlässig herbeigeführt habe, müsse er die deshalb gezahlten Leistungen wegen sozialwidrigen Verhaltens erstatten. Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Elektroniker hätte er sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt gehabt.

Hiergegen ging der Mann vor. Nach seiner Ansicht könne sein damaliges Verhalten nicht mehr als Ursache seiner jetzigen Hilfebedürftigkeit gewertet werden. Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt.

Die Gründe:
Zwar stellt der Ausbildungsabbruch ein sozialwidriges Verhalten dar, jedoch ist er nach mehr als 3 ½ Jahren nicht mehr kausal für den Leistungsbezug. Denn der weitere berufliche Werdegang nach Abbruch der ersten Berufsausbildung ist spekulativ. Bei einem unkooperativen, schwer vermittelbaren Arbeitslosen fehlen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass er mit einem regulären Berufsabschluss durchgängig gearbeitet hätte.

Zudem ist zugunsten des Klägers ein Härtefall anzunehmen. Es widerspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Grundsatz des Forderns und Förderns, wenn eine typische „Jugendsünde“ eines damals 20-jährigen zu erheblichen Ersatzansprüchen führt, die jegliche Erwerbsperspektive zerstören. Ausbildungsabbrüche sind bei jungen Menschen ein weit verbreitetes Phänomen, das Außenstehende als unklug, überstürzt oder irrational erkennen, während die Betroffenen diese Einsicht in aller Regel erst in späteren Lebensphasen gewinnen.

 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.02.2023 11:28
Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen PM vom 20.2.2023

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