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Die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit - Anmerkungen zum BAG-Beschl. v. 13.9.2022 - 1 ABR 22/21 (Lunk , ArbRB 2023, 13)

Kaum ein Thema beschäftigt die arbeitsrechtliche Fachwelt und betriebliche Praxis seit langem so sehr wie die rechtliche Behandlung der Arbeitszeit. Kritisiert wird insbesondere, dass es seit Jahren nicht gelingt, einheitliche und handhabbare Kriterien zu entwickeln. Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage erließ der EuGH sein CCOO-Judikat. Dem folgt nun der 1. Senat des BAG mit seinem Beschluss zur Arbeitszeiterfassung, den der Autor analysiert und dessen Konsequenzen er aufzeigt.

I. Der wesentliche Sachverhalt des Beschlusses vom 13.9.2022
II. Die Entscheidung des BAG

1. Das Mitbestimmungs- und das Initiativrecht
2. Die abschließende gesetzliche Regelung
a) Art. 31 Abs. 2 GRCh
b) § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 4 ArbZG
c) § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG
III. Die Folgen der Entscheidung des BAG
1. Die individualrechtlichen Folgen
a) Das System der Arbeitszeiterfassung
b) Der persönliche Anwendungsbereich
c) Die Delegationsmöglichkeit und die Vertrauensarbeitszeit
d) Die Auswirkung auf die Mehrarbeitsvergütung
2. Die betriebsverfassungsrechtlichen Folgen
3. Die arbeitszeitrechtlichen Folgen
IV. Wie geht es weiter?


I. Der wesentliche Sachverhalt des Beschlusses vom 13.9.2022

Die Betriebsparteien verhandelten erfolglos über die Einführung einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Nachdem der Arbeitgeber es abgelehnt hatte, eine ArbRB 2023, 14elektronische Zeiterfassung einzuführen, beantragte der Betriebsrat, festzustellen, er habe hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung im Betrieb ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag ab; das LAG Hamm gab ihm statt und sprach dem Betriebsrat insbesondere ein diesbezügliches Initiativrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu. Die überwiegende Auffassung im Schrifttum und das BAG hatten zuvor ein Initiativrecht bei der Einführung technischer Überwachungseinrichtungen, wozu die elektronische Zeiterfassung zählt, abgelehnt.

II. Die Entscheidung des BAG
Statt auf seine vorherige Rechtsprechung zu verweisen und den Antrag abzuweisen, entwickelte der Senat eine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit nach Maßgabe der CCOO-Entscheidung. Zwar entschied der 1. Senat vordergründig zu Ungunsten des Betriebsrats und wies seinen Antrag ab. Im Ergebnis stellt das Judikat aber eine Stärkung der Rechte von Betriebsräten sowie von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dar. Im Wesentlichen befasst sich der Senat mit folgenden Punkten, die er sehr systematisch abarbeitet:

1. Das Mitbestimmungs- und das Initiativrecht
Zunächst referiert der Senat auf der Basis der allgemeinen Ansicht zum Ausschluss der Mitbestimmung bei Vorliegen einer gesetzlichen Regelung i.S.v. § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, dass die Sperrwirkung nur eingreift, wenn die zugrunde liegende Norm den Sachverhalt inhaltlich und abschließend regelt. Verbleibe für den Arbeitgeber jedoch ein Gestaltungsspielraum, sei ein darauf bezogenes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gegeben.

Eine solche – abschließende – gesetzliche Regelung nimmt der Senat an. Sie steht dem Mitbestimmungs- und damit auch dem Initiativrecht entgegen. Arbeitgeber seien nämlich gesetzlich verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich etwaiger Überstunden erfasst werden.

Beraterhinweis
Der Senat behandelt nicht die Streitfrage, ob speziell § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dem Betriebsrat ein Initiativrecht einräumt, sondern kommt nicht zu diesem Punkt, weil er bereits das Vorliegen eines Mitbestimmungsrechts ablehnt.

2. Die abschließende gesetzliche Regelung
Getreu der Normenhierarchie im Arbeitsrecht prüft der Senat sodann die in Betracht kommenden Regelungen, aus denen sich die Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeit ergeben könnte. Die Einführung eines solches Systems hatte der EuGH in seiner CCOO-Entscheidung bekanntlich verlangt.

a) Art. 31 Abs. 2 GRCh
Gemäß Art. 31 Abs. 2 GRCh hat jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.01.2023 19:16
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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