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Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess nach "CCOO" - Bleibt trotz des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung alles beim Alten? (Tiedemann, ArbRB 2022, 348)

Nach der CCOO-Entscheidung des EuGH, wonach Arbeitgeber zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit verpflichtet sind, war zunächst umstritten, ob in der Folge andere Regeln für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess gelten müssen. Der 5. Senat des BAG hat das nun verneint. Der Autor erläutert diese Entscheidung und zeigt ihre Auswirkungen auf die Praxis auf.

I. Anspruchsgrundlage
II. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast

1. Erste Stufe: Anzahl der Überstunden
2. Zweite Stufe: Veranlassung der Überstunden
a) Anordnung der Überstunden
b) Billigung der Überstunden
c) Duldung der Überstunden
d) Notwendigkeit der Überstunden
III. Keine Änderungen durch die CCOO-Entscheidung des EuGH
IV. Fazit


I. Anspruchsgrundlage

Legen die Parteien einen bestimmten zeitlichen Umfang der regelmäßig zu erbringenden Arbeitsleistung fest, betrifft die Entgeltzahlungspflicht zunächst (nur) die Vergütung der vereinbarten Normalarbeitszeit.

Als Anspruchsgrundlage für die Vergütung von geleisteten Überstunden kommen § 611a Abs. 2 BGB oder § 612 Abs. 1 BGB in Betracht: Entweder es gibt eine vereinbarte (Überstunden-)Vergütung zwischen den Arbeitsvertragsparteien oder eine solche gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist (= Vergütungserwartung). Letzteres ist regelmäßig der Fall und nur bei Arbeitnehmern mit einem Entgelt oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung nicht gegeben.

Vergütungsansprüche für Überstunden können im Einzelfall ggf. noch mit Ansprüchen auf Zuschläge für Nacht-, Wochenend- oder Feiertragzuschlägen für die geleisteten Überstunden einhergehen.

Soweit Arbeitsverträge Klauseln enthalten, mit denen Überstunden in einem bestimmten Umfang mit der vereinbarten Vergütung pauschal abgegolten sein sollen, werden diese oftmals einer AGB-Kontrolle mangels Intransparenz nicht standhalten.

Beraterhinweis
Wirksame (tarif- oder arbeitsvertragliche) Ausschlussfristen, die vor allem der einschlägigen Rechtsprechung des BAG Rechnung tragen (Stichworte: Mindestdauer der Stufen von drei Monaten, Geltendmachung in Textform ausreichend, Ausnahme von Mindestlohnansprüchen etc. sowie kein Ausschluss von Haftungsansprüchen bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit sowie im Zusammenhang mit der Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit), können das finanzielle Risiko für Arbeitgeber im Überstundenvergütungsprozess begrenzen.

II. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast
Im Zivilprozessrecht und wegen § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren gilt, dass derjenige, der von einem anderen etwas fordert, die seinen Anspruch begründenden Tatsachen darlegen und im Streitfall beweisen muss.

Für die erfolgreiche Geltendmachung von Überstundenvergütung muss der Arbeitnehmer zum einen die einzelnen Überstunden und zum anderen deren Veranlassung durch den Arbeitgeber darlegen. Dies kann im Einzelfall für Arbeitnehmer schwierig sein. Dem trägt der 5. Senat des BAG durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast Rechnung.

1. Erste Stufe: Anzahl der Überstunden
Auf einer ersten Stufe muss der Arbeitnehmer darlegen und – im Bestreitensfall – beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt er seiner Darlegungslast, wenn er schriftsätzlich vorträgt,

  • an welchen Tagen
  • er von wann bis wann Arbeit geleistet oder
  • sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat.

Mit dem Vortrag, zu bestimmten Zeiten gearbeitet zu haben, behauptet der Arbeitnehmer regelmäßig zugleich, während der genannten Zeiten die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben. Das ist für die erste Stufe der Darlegung ausreichend. Der Arbeitnehmer muss insofern im Schriftsatz – und nicht in einer Anlage – mittels einer Auflistung der Arbeitszeiten für jeden einzelnen Tag des Streitzeitraums angegeben, von wann bis wann er...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.12.2022 18:10
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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