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Aktuell im ArbRB

Neues zum Schicksal von Betriebsvereinbarungen bei einem unwirksamen Betriebsratsbeschluss - Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers nach der Ablehnung einer Anscheinsvollmacht durch das BAG (Kleinebrink, ArbRB 2022, 304)

Eine vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebene Erklärung ist wegen fehlender Vertretungsmacht unwirksam, wenn ihr kein wirksamer Betriebsratsbeschluss zugrunde liegt. In diesem Fall ist auch eine von ihm unterzeichnete Betriebsvereinbarung unwirksam, denn eine Anscheinsvollmacht scheidet nach der jüngsten BAG-Rechtsprechung aus. Wann liegt eine unwirksame Beschlussfassung vor? Und welche Möglichkeiten bestehen für Arbeitgeber, eine Heilung zu erreichen, wenn diese aus ihrer Sicht erstrebenswert ist?

I. Auswirkungen unwirksamer Betriebsratsbeschlüsse auf Betriebsvereinbarungen
II. Vorliegen eines unwirksamen Betriebsratsbeschlusses

1. Fehlende ordnungsgemäße Ladung
a) Rechtzeitigkeit
b) Ladung aller Mitglieder
c) Ersatzmitglieder
2. Nicht ordnungsgemäße Mitteilung der Tagesordnung
3. Fehlende Beschlussfähigkeit
4. Nicht ordnungsgemäße Beschlussfassung
5. Nichtbeachtung der Besonderheiten bei Video- und Telefonkonferenzen
a) Voraussetzungen für virtuelle Sitzungen
b) Regelung in der Geschäftsordnung
c) Verstoß gegen die Geschäftsordnung
III. Möglichkeit der Heilung des unwirksamen Beschlusses
IV. Handlungsmöglichkeiten für den Arbeitgeber

1. Verlangen auf Vorlage von Unterlagen
2. Aufforderung zur ordnungsgemäßen Beschlussfassung nach Erhalt der Unterlagen
3. Aufforderung zur ordnungsgemäßen Beschlussfassung nach gerichtlicher Feststellung der Unwirksamkeit
V. Zusammenfassung


I. Auswirkungen unwirksamer Betriebsratsbeschlüsse auf Betriebsvereinbarungen

Gibt der Vorsitzende des Betriebsrats – oder bei dessen Verhinderung nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sein Stellvertreter – eine Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung ab, die nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasst ist, hat er entsprechend § 177 Abs. 1 BGB als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt. Die von ihm abgegebene Erklärung ist nach dieser Vorschrift schwebend unwirksam.

Es ist nach Ansicht des BAG nicht möglich, dem Betriebsrat eine von seinem Vorsitzenden abgegebene Erklärung auf der Grundlage einer Anscheinsvollmacht zuzurechnen. Folglich sind auch Betriebsvereinbarungen, die auf einer unwirksamen Erklärung infolge eines unwirksamen Beschluss beruhen, nicht wirksam zustande gekommen. Ihnen fehlt die in § 77 Abs. 1 BetrVG normierte unmittelbare und zwingende Wirkung. Daher können hieraus auch keine Rechte hergeleitet werden. Für Arbeitgeber kann dies unabsehbare finanzielle Folgen haben.

Beispiel
Ist in einer solchen unwirksamen Betriebsvereinbarung etwa die Leistung von Überstunden nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG geregelt, müssen Arbeitnehmer diese nicht leisten.

Beraterhinweis
Da eine Anscheinsvollmacht ausscheidet, dürften auch sonstige Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat mit Außenwirkung, wie z.B. ein Interessenausgleich, der eine Kollektivvereinbarung eigener Art darstellt, schwebend unwirksam sein, wenn es an einem wirksamen Beschluss des Betriebsrats fehlt. Auch dies kann zu erheblichen finanziellen Nachteilen für den Arbeitgeber führen.

Ein solcher Interessenausgleich hat zwar keine unmittelbaren und zwingenden Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis. Der Arbeitgeber läuft aber Gefahr, von Arbeitnehmern auf einen Nachteilsausgleich i.S.d. § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG in Anspruch genommen zu werden. Er kann sich nicht darauf berufen, nur deshalb das Verfahren zum Abschluss eines Interessenausgleichs nicht fortgesetzt zu haben, weil er auf die Wirksamkeit des Beschlusses vertraut habe.

Die oben angeführte Entscheidung des BAG betrifft aber keine Beschlüsse des Betriebsrats, die einseitige Erklärungen zum Inhalt haben, wie z.B. zu Anhörungen vor Kündigungen nach § 102 BetrVG oder zu Einstellungen oder Versetzungen nach § 99 BetrVG.

II. Vorliegen eines unwirksamen Betriebsratsbeschlusses
Nicht jeder Verstoß gegen das Verfahren der Beschlussfassung hat Auswirkungen auf die Wirksamkeit und somit auf die Erklärungen und Handlungen, mit denen der Beschluss vollzogen wird. Nur ein unter Missachtung zwingender Verfahrensvorschriften zustande gekommener Beschluss des Betriebsrats ist nichtig.

Beraterhinweis
Für Arbeitgeber ist es deshalb von Bedeutung, die wichtigsten Unwirksamkeitsgründe zu kennen.

1. Fehlende ordnungsgemäße Ladung
Nur der Betriebsratsvorsitzende (im Fall seiner Verhinderung: der stellvertretende Vorsitzende) kann zu einer Betriebsratssitzung laden; andernfalls sind dort gefasste Beschlüsse unwirksam.

a) Rechtzeitigkeit
Die Ladung hat nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG rechtzeitig zu erfolgen. Hierzu gehört nach § 29 Abs. 2 Satz 4 BetrVG auch die Ladung der Schwerbehindertenvertretung sowie...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.10.2022 16:17
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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