Otto Schmidt Verlag

LAG Niedersachsen v. 17.5.2022 - 10 Sa 954/21

Tarifnorm des § 26 Abs. 2c TVöD ersetzt nicht die Kürzungserklärung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG

Die Tarifnorm des § 26 Abs. 2c TVöD enthält oder ersetzt nicht die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG erforderliche Erklärung des Arbeitgebers, den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht vor, während und nach dem Ende der Elternzeit ausüben, nicht jedoch vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen.

Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um Zahlung von Urlaubsabgeltung für die Jahre 2017 bis 2019. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es war der Ansicht, die Urlaubsansprüche seien auf Null gekürzt worden. Die arbeitsvertraglich in Bezug genommene Norm des § 26 Abs. 2c TVöD sei dahin auszulegen, dass er die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG für die Ausübung der Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers erforderliche Willenserklärung bereits enthalte. Nach ihrem Wortlaut verringere sich der Urlaubsanspruch für jeden Monat eines ruhenden Arbeitsverhältnisses automatisch, so dass es dafür einer weiteren Erklärung des Arbeitgebers nicht bedürfe.

Der Auffassung des BAG, wonach der Arbeitgeber das Kürzungsrecht des § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG nicht vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen, ausüben könne, sei nicht zu folgen. Wer einseitig erkläre, dass sich für den Fall einer zukünftigen Elternzeit der Anspruch auf Erholungsurlaub kürzen solle, gebe damit eine in sich sinnvolle Erklärung ab. Die Ausübung eines Gestaltungsrechtes unter einer die Wirkung verschiebenden Potestativbedingung sei zulässig, wie etwa die Rechtsprechung zum arbeitsvertraglichen Verzicht auf die Rechte aus § 616 BGB oder zur Befristung eines Arbeitsverhältnisses auf das Erreichen des Renteneintrittsalters zeige.

Die Klägerin war weiterhin der Ansicht, das Kürzungsrecht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG könne nur im laufenden Arbeitsverhältnis durch Erklärung des Arbeitgebers ausgeübt werden. Die Vorschrift sei nicht tarifdispositiv. Auf ihre Berufung hat das LAG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 13.471 € brutto zu zahlen. Allerdings wurde die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BAG unter dem Az. 9 AZR 207/22 anhängig.

Die Gründe:
Die Klägerin hat Anspruch auf Urlaubsabgeltung für die Jahre 2017 bis 2019 in der geltend gemachten Höhe. Die Beklagte hat den Urlaubsanspruch der Klägerin nicht durch eine Erklärung gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG für die Dauer der Elternzeit gekürzt.

Die Tarifnorm des § 26 Abs. 2c TVöD enthält oder ersetzt nicht die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG erforderliche Erklärung des Arbeitgebers, den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen. Dem stehen die auch durch Tarifvertrag nicht abdingbaren Regelungen gem. §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG entgegen. Entfiele der Anspruch auf Erholungsurlaub für die Elternzeit schon kraft der Tarifnorm, so wäre dies für den Arbeitnehmer ungünstiger als die gesetzliche Regelung, weil der Mindesturlaub nach § 3 Abs. 1 BUrlG unterschritten würde: Vorliegend könnte die Klägerin auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG keinen Urlaub beanspruchen. Dieses Ergebnis wiche zu ihren Lasten von § 3 Abs. 1 BUrlG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG ab, wonach für die Elternzeit in Ermangelung einer Kürzungserklärung Anspruch auf den Mindesturlaub besteht.

Auch soweit der Urlaubsanspruch den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, enthält oder ersetzt § 26 Abs. 2c TVöD nicht die Kürzungserklärung des Arbeitgebers gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG. Der Gesetzgeber unterscheidet dort nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem diesen übersteigenden Anspruch, sondern spricht einheitlich von „Erholungsurlaub“. Auch Sinn und Zweck der Norm sprechen gegen eine Differenzierung. Die gesetzliche Kürzungsbefugnis vermeidet ein Ansammeln von Urlaub gegen den Willen des Arbeitgebers für Zeiten, in denen die Arbeitspflicht elternzeitbedingt ruht. Ein Arbeitgeber hat es für alle Bestandteile des Erholungsurlaubs gleichermaßen in der Hand, eine wirksame Kürzungserklärung abzugeben, sofern und soweit er Urlaub für die Elternzeit nicht gewähren möchte. Für eine Aufspaltung des Anspruchs in Mindest- und sonstigen Erholungsurlaub besteht daher keine Notwendigkeit.

Die Norm des § 26 Abs. 2c TVöD lässt sich letztlich auch nicht als schon bei Begründung des Arbeitsverhältnisses gleichsam auf Vorrat ausgesprochene Kürzungserklärung des Arbeitgebers gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG auslegen. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht vor, während und nach dem Ende der Elternzeit ausüben, nicht jedoch vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen.

Die Zulassung der Revision folgt aus der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage. Soweit ersichtlich, war das Verhältnis von § 17 Abs. 1 BEEG zu der Tarifnorm des § 26 Abs. 2c TVöD bisher nicht Gegenstand der obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Rechtsprechung.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.06.2022 13:14
Quelle: Niedersächsisches Landesjustizportal

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