Otto Schmidt Verlag

BAG v. 2.3.2022 - 2 AZN 629/21

Öffentlichkeitsgrundsatz im arbeitsgerichtlichen Verfahren auch in Zeiten einer Pandemie unverzichtbar

Auf die Einhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes kann im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht verzichtet werden. Zulässig ist zwar eine Reduzierung der Zuhörerzahl in einem Saal, um Abstandsregelungen im Zuge einer Pandemiebekämpfung einhalten zu können. Die Verhandlung ist aber nur dann öffentlich, wenn beliebige Zuhörer, sei es auch nur in sehr begrenzter Zahl, die Möglichkeit des Zutritts haben.

Der Sachverhalt:
Das LAG hatte 2021 in einem Berufungsverfahren eine mündliche Verhandlung durchgeführt, bei der im Sitzungssaal im Hinblick auf die Coronavirus-Pandemie aufgrund der zur Verfügung stehenden Fläche nach den Vorgaben der Gerichtsverwaltung, die mit der Gesundheitsbehörde abgesprochen worden waren, die Anzahl der anwesenden Personen auf drei Richter und sieben weitere Personen begrenzt war. Diese zur Verfügung stehenden Plätze wurden vollständig von den Verfahrensbeteiligten genutzt. Dies führte dazu, dass im Verhandlungsraum nicht einmal für einen Zuhörer Platz war.

Das BAG gab der dagegen erhobenen Beschwerde statt und verwies den Rechtsstreit an das LAG zurück.

Die Gründe:
Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 5 ZPO vor. Gemäß § 52 Satz 1 iVm. § 64 Abs. 7 ArbGG ist die Verhandlung vor dem LAG öffentlich. Das Urteil des LAG ist aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind.

Der Grundsatz der Öffentlichkeit, der zu den Prinzipien demokratischer Rechtspflege gehört und auch in § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG niedergelegt ist, verlangt, dass jedermann nach Maßgabe des tatsächlich verfügbaren Raums Zutritt zur Verhandlung ermöglicht wird.

Zulässig ist zwar eine Reduzierung der Zuhörerzahl in einem Saal, um Abstandsregelungen im Zuge einer Pandemiebekämpfung einhalten zu können. Die Verhandlung ist aber nur dann öffentlich, wenn beliebige Zuhörer, sei es auch nur in sehr begrenzter Zahl, die Möglichkeit des Zutritts haben. Erforderlich ist, dass Zuhörer in einer Anzahl Einlass finden, in der sie noch als Repräsentanten einer keiner besonderen Auswahl unterliegenden Öffentlichkeit angesehen werden können. Ein einziger Platz für Zuhörer wäre zu wenig, weil dies zu einem faktischen Ausschluss der Öffentlichkeit führte.

Die Beschwerdeführerinnen haben nicht auf die Rüge des absoluten Revisionsgrundes des § 547 Nr. 5 ZPO verzichtet, weil sie die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht bereits in der mündlichen Verhandlung gerügt, sondern sich auf die mündliche Verhandlung eingelassen und Sachanträge gestellt haben. Denn ausgehend vom Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes kann auf dessen Einhaltung im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht verzichtet werden, § 295 Abs. 2 ZPO. Der Grundsatz der öffentlichen mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme soll eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz verhindern. Vor allem dient die Gerichtsöffentlichkeit jedoch der Kontrolle der Justiz durch die Möglichkeit der Allgemeinheit, die Verhandlung zu beobachten. Letztlich dient das Gebot der Öffentlichkeit durch seine Kontrollfunktion auch der Verfahrensfairness.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.04.2022 13:03
Quelle: BAG online

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