Otto Schmidt Verlag

BAG v. 1.3.2022 - 9 AZB 25/21

Streitigkeiten über Corona-Prämien: Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet

Für Rechtsstreitigkeiten zwischen zugelassenen Pflegeeinrichtungen und deren Arbeitnehmern über die Berechnung und Höhe des Bundesanteils der Corona-Prämie nach § 150a Abs. 1 Satz 1 SGB XI ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.

Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen und in der Hauptsache über die Berechnung und Höhe der dem Kläger nach Bundes- und Landesrecht zustehenden Corona-Prämien.

Der Kläger ist bei dem beklagten Verein seit 2010 in der Einrichtung „W“ als Pflegefachkraft beschäftigt. Der Beklagte hat an den Kläger im Jahr 2020 insgesamt ca. 550 € als „Corona-Prämie Bund“ und 275 € als „Corona-Prämie Land“ ausgezahlt.

Die Auszahlung der „Landesprämie“ erfolgt auf der Grundlage einer im Land Mecklenburg-Vorpommern geltenden „Verwaltungsvereinbarung zur Umsetzung des Landesanteils zur Erhöhung der Corona-Prämie nach § 150a Abs. 9 SGB XI“ idF der „Ergänzung der Verwaltungsvereinbarung vom 22. Juni 2020“ vom 1. Juli 2020 (im Folgenden VV-CoP). In der Präambel VV-CoP heißt es u.a.:

„1. Das Land wird die unter § 150a Abs. 2 und 3 SGB XI genannten Beträge für die einmalige Sonderleistung zum Zweck der Wertschätzung der Beschäftigten zugelassener Pflegeeinrichtungen für die besonderen Anforderungen während der Corona-Virus-SARs-Cov2-Pandemie (Corona-Prämie) auf die in § 150a Abs. 9 SGB XI genannten Höchstbeträge aus Landesmitteln aufstocken („Landesprämie“). Die der Aufstockung zugrundeliegenden Beträge nach § 150a Abs. 2 und 3 SGB XI werden aus Mitteln der Pflegekassen finanziert. …

3. Es besteht Konsens, dass die Detailregelungen und das Verfahren einschließlich der Fristen, die für die „Grundprämie“ in § 150a Abs. 1 - 8 SGB XI geregelt sind, sowie der Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes, entsprechend auf die Auszahlung der Aufstockung nach Ziffer 1 zum Tragen kommen sollen.“

Der Beklagte lehnte ab, an den Kläger insgesamt 1.500 € als Corona-Prämie zu zahlen und entsprechende Nachzahlungen zu leisten. Er ist der Auffassung, dem Kläger stünden die Corona-Prämie und die Landesprämie nur in anteiliger Höhe zu, weil er in einer sog. „Komplexeinrichtung Eingliederungshilfe und Pflege“ beschäftigt sei und nur teilweise Arbeitsleistungen i.S.d. SGB XI erbracht habe, im Übrigen aber solche i.S.d. SGB IX, die nicht prämienfähig seien. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen sei nicht eröffnet.

Das ArbG hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Das LAG hat die sofortige Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen.

Das BAG hat den Rechtsstreit an das SG verwiesen.

Die Gründe:
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist entgegen der Annahme der Vorinstanzen nicht eröffnet. Zwischen den Parteien besteht keine bürgerlich-rechtliche, sondern eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Aus diesem Grund kommt eine Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen weder nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG noch nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a ArbGG in Betracht.

Das Rechtsverhältnis, aus dem der Kläger die geltend gemachten Ansprüche ableitet, ist ausschließlich öffentlich-rechtlicher Natur. Der Kläger nimmt den Beklagten mit der von ihm erhobenen allgemeinen Leistungsklage, die auf die Auszahlung eines erhöhten Bundes- und Landesanteils der Corona-Prämie gerichtet ist, auf die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten in Anspruch, die dem Beklagten mit § 150a Abs. 1 Satz 1 SGB XI und Ziff. 1 VV-CoP iVm. § 150a Abs. 9 Satz 1 SGB XI auferlegt sind. Der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt und die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge wird ausschließlich durch Rechtssätze des öffentlichen Rechts geprägt, die die Auslegung und Anwendung der vorgenannten öffentlich-rechtlichen Bestimmungen betreffen. Es besteht kein Rechtssatz des bürgerlichen Rechts, der die Frage beantworten könnte, wie die Corona-Prämie und die Landesprämie bei Arbeitnehmern zu berechnen ist, die in einer „Komplexeinrichtung Eingliederungshilfe und Pflege“ beschäftigt sind.

Dem öffentlich-rechtlicher Charakter des Anspruchs steht nicht entgegen, dass § 150a Abs. 1 SGB XI den Arbeitgeber als zur Auszahlung der Corona-Prämie Verpflichteten bestimmt und der Anspruch der Arbeitnehmer nach Maßgabe des § 150a Abs. 4 bis 6 SGB XI grundsätzlich an die tatsächliche Ausübung einer pflegerischen Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gebunden ist.

Bei dem Anspruch auf Auszahlung der „Landesprämie“ handelt es sich ebenfalls um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat sich unter Ausschöpfung des den Ländern durch § 150a Abs. 9 Satz 1 SGB XI eingeräumten Gestaltungsspielraums mit Ziff. 1 VV-CoP zu einer freiwilligen staatlichen Leistung aus Mitteln des Landeshaushalts verpflichtet. Für die Landesprämie gelten nach Ziff. 3 VV-CoP die in § 150a Abs. 1 bis Abs. 8 SGB XI festgelegten Berechnungs- und Verfahrensmodalitäten. Der Arbeitgeber erfüllt dementsprechend im Zusammenhang mit der Auszahlung der „Landesprämie“ öffentlich-rechtliche Pflichten. Ihm kommt, wie bei der Auszahlung der Corona-Prämie, die Funktion einer in Dienst genommener Zahlstelle zu.

Für den Rechtstreit ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und nicht der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Die Streitigkeit ist i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausdrücklich durch Bundesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen.

Soweit die „Corona-Prämie“ nach § 150a Abs. 1 Satz 1 SGB XI im Streit steht, folgt dies unmittelbar aus § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2 SGG, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) handelt. Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der sozialen Pflegeversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Die Rechtswegzuweisung des § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG bezieht sich auf den gesamten Bereich des Leistungs- und Leistungserbringerrechts des SGB XI, soweit es um Streitfragen nach dem SGB XI, mithin um die Auslegung von Vorschriften des SGB XI geht. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Vorschriften, die zur Klärung der streitigen Rechtsfragen heranzuziehen und auszulegen sind, zumindest im Grundsatz im SGB XI geregelt sind.

Von der Sonderzuweisung an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ist auch der Streit der Parteien über die „Landesprämie“ nach Ziff. 1 VV-CoP iVm. § 150a Abs. 9 Satz 1 SGB XI erfasst. Der Kläger verfolgt den Anspruch auf Zahlung einer höheren Landesprämie zwar als selbstständigen Hauptanspruch und nicht als bloßen Annex zu dem auf Zahlung einer höheren „Corona-Prämie“. Jedoch hat das Land Mecklenburg-Vorpommern von der mit § 150a Abs. 9 Satz 4 SGB XI durch Bundesgesetz eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, zu bestimmen, dass für die Landesprämie die Verfahrensregelungen anzuwenden sind, die für die nach § 150a Abs. 1 Satz 1 SGB XI zu zahlende „Corona-Prämie“ gelten. Dies steht einer Aufspaltung der Rechtswegzuständigkeit entgegen.

Mehr zum Thema:



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.04.2022 15:04
Quelle: BAG online

zurück zur vorherigen Seite