Otto Schmidt Verlag

ArbG Gera v. 20.1.2022 - 2 Ga 3/21

Eilrechtsschutz nach einseitiger Freistellung durch Arbeitgeber: Selbstwiderlegung der Dringlichkeit

Der einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmende Arbeitnehmer kann durch langes Zuwarten die nach § 940 ZPO erforderliche Dringlichkeit einer Weiterbeschäftigungsverfügung selbst widerlegen. Ein solches (zu) langes Zuwarten ist jedoch noch nicht anzunehmen, solange der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber noch zielgerichtete Verhandlungen über eine gütliche Beilegung des Streits führt.

Der Sachverhalt:
Die Verfügungsklägerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ihre Beschäftigung als Reinigungskraft bei der Verfügungsbeklagten. Die Verfügungsbeklagte beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis mit der Verfügungsklägerin außerordentlich fristlos zu kündigen aufgrund eines Vorfalls hinsichtlich der von der Verfügungsklägerin geführten Arbeitszeitaufzeichnungen für den Monat September 2021. Dort hat die Verfügungsklägerin den 3.9.2021 als Arbeitstag angegeben. Dieser Tag war zwar ursprünglich als Arbeitstag vorgesehen, tatsächlich wurde er jedoch als Ausgleichstag für einen Arbeitssonntag freigegeben.

Die Verfügungsklägerin spricht von einem Versehen, der Arbeitgeber sieht es als (versuchten) Arbeitszeitbetrug an. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung nicht zu. Diesbezügl. ist am ArbG ein Verfahren zur Ersetzung der entsprechenden Zustimmung anhängig.

Am 12.10.2021 stellte die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin einseitig und widerruflich von ihrer Verpflichtung zur Erbringung von Arbeitsleistungen unter Fortzahlung der Vergütung frei. Nachdem im Gütetermin am 3.12.2021 keine Einigung erfolgte, hat die Verfügungsklägerin unter dem 17.12.2021 das hiesige einstweilige Rechtsschutzverfahren anhängig gemacht.

Der Arbeitgeber ist der Ansicht, die Verfügungsklägerin habe ein gesteigertes berufliches Interesse an einem weiteren Arbeitseinsatz nicht dargelegt. Die Voraussetzungen für einen Eilantrag lägen daher nicht vor.

Das ArbG hat den Arbeitgeber verurteilt, die Verfügungsklägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Reinigungskraft weiter zu beschäftigen.

Die Gründe:
Grundsätzlich kann der einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmende Arbeitnehmer durch langes Zuwarten die nach § 940 ZPO erforderliche Dringlichkeit einer Befriedigungsverfügung selbst widerlegen (LAG Hessen v. 5.7.2006 - 2 SaGa 632/06). Ein langes Zuwarten liegt vor, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis der Rechtsbeeinträchtigung längere Zeit untätig bleibt und seinen Anspruch nicht (gerichtlich) geltend macht.

Anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber noch Verhandlungen über eine gütliche Beilegung des Streits führt. Dies gilt jedenfalls, solange diese zielgerichtet von beiden Parteien geführt werden. In diesem Fall bleibt der Arbeitnehmer gerade nicht untätig, sondern bemüht sich aktiv um die Durchsetzung seiner Rechtsposition zur Erreichung einer Lösung der Auseinandersetzung und sei es auch nur in Form eines Kompromisses. Solange die Verhandlungen geführt werden, bleibt die Angelegenheit dringlich. Erst wenn diese gescheitert sind, hat der Arbeitnehmer den Beschäftigungsanspruch alsbald geltend zu machen. (LAG Hessen v. 10.5.2010 - 16 SaGa 341/10).

Vergleichbar liegt der Fall hier, so dass die Dringlichkeit nicht durch das Zuwarten der Verfügungsklägerin bis zum 17.12.2021 widerlegt ist. Zwar wurden im Zeitraum nach der Freistellung nicht direkt Vergleichsverhandlungen zwischen der Verfügungsklägerin und dem Arbeitgeber geführt. Jedoch war bereits das Verfahren zur Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats gem. § 103 BetrVG anhängig, in dem am 3.12.2021 zur Güte verhandelt wurde. In diesem Verfahren wird gem. § 103 Abs. 2 BetrVG durch das ArbG die Zustimmung nur dann ersetzt, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Mithin wird hier inzident bereits über die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung vorab entschieden. Die dort zugrunde gelegten Vorwürfe entsprechen denen, die der Arbeitgeber auch für die hier streitgegenständliche einseitige Freistellung zum Anlass nahm. Somit ist nachvollziehbar, dass eine mögliche gütliche Einigung durch die Verfügungsklägerin abgewartet werden sollte, da sich hierdurch ggf. auch die einseitige Freistellung durch die Verfügungsbeklagte erledigt hätte.

Diesem Anspruch stehen keine überwiegenden schutzwerten Interessen des Arbeitgebers entgegen, insbesondere da die Falschangabe der Arbeitszeit am 3.9.2021 auch auf einem schlichten Versehen der Verfügungsklägerin beruhen kann.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.04.2022 12:18
Quelle: Justiz Thüringen online

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