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Aktuell im ArbRB

Zulässigkeit einer Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie bei Betriebsänderungen - Abgrenzung von der Sozialplanabfindung und Gestaltungsmöglichkeiten (Gaul/Roters, ArbRB 2022, 83)

Das Recht der Betriebsparteien, im Zusammenhang mit Betriebsänderungen zusätzlich zum Sozialplan die Zahlung einer Turbo- oder Klageverzichtsprämie zu vereinbaren, steht im Spannungsverhältnis zum Verbot, Sozialplanleistungen von einem Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage abhängig zu machen. Dieses Verbot kann auch greifen, wenn die Regelungen in verschiedenen Vereinbarungen getroffen werden. Der Beitrag lotet den Spielraum für zulässige Prämienregelungen aus.


I. Ausgangssituation
II. Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG
III. Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung
IV. Spannungsverhältnis zwischen Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie und Sozialplanabfindung

1. Klageverzicht als unzulässige Bedingung einer Sozialplanabfindung
2. Zulässige Turbo- bzw. Klageverzichtsprämie „neben“ der Sozialplanabfindung
a) Erfordernis einer „echten“ Zusatzleistung
b) Umgehungsverbot
c) Rechtsprechungsänderung
V. Handlungs- und Gestaltungsoptionen des Arbeitgebers
1. Vorteile vorgezogener Sozialplan-Verhandlungen
2. Nachteile vorgezogener Sozialplan-Verhandlungen
VI. Fazit


I. Ausgangssituation

Kündigt der Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis, so hat er ein großes Interesse an alsbaldiger Rechtssicherheit im Hinblick auf dessen Beendigung. Die Durchführung eines – ggf. langjährigen und kostenintensiven – Kündigungsschutzprozesses wird diesem Interesse nicht gerecht. Denn bis zur Rechtskraft der Entscheidung besteht keine Rechtssicherheit. Mag dies im Fall der Kündigung einzelner Arbeitnehmer noch zu in der Regel überschaubaren Belastungen führen, ändert sich die Lage, wenn die Kündigung einer Vielzahl – ggf. mehrerer Hundert – Arbeitnehmer im Raum steht, wie etwa bei einer Betriebsänderung in Form einer Betriebsstilllegung oder Teilstilllegung.

Insbesondere bei einem Fortbestand des (restlichen) Betriebs besteht ein großes Interesse, dass eine leistungsstarke Rest-Belegschaft erhalten bleibt. Das aber steht in der Regel im Widerspruch zu den Vorgaben der Sozialauswahl, auf deren Grundlage eigentlich die von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmer ausgewählt werden sollen.

Wenn der Arbeitgeber – häufig in Übereinstimmung mit dem Betriebsrat – in diesem Fall

  • einerseits die Beendigung von Arbeitsverhältnissen auch außerhalb der strengen Regelungen einer Sozialauswahl zulassen,
  • andererseits aber auch langjährige Prozesse über die Wirksamkeit einer Kündigung vermeiden will,

ist es in der betrieblichen Praxis insbesondere bei Betriebsänderungen üblich geworden, nicht nur über einen Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln. Vielmehr führen Arbeitgeber und Betriebsrat regelmäßig ergänzende Gespräche über die Frage, wie das Einvernehmen von Arbeitnehmern hinsichtlich der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gesondert honoriert werden kann.

Beraterhinweis
Entsprechende Zahlungen, die oft im Rahmen eines Freiwilligenprogramms an den Abschluss von Aufhebungsverträgen bzw. den Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage geknüpft werden, helfen nicht nur, das Risiko und die Kosten von Kündigungsschutzverfahren zu vermeiden. Sie unterstützen ferner bei dem Ziel, im Rahmen einer Betriebsänderung auch solche Arbeitsverhältnisse zu beenden, bei denen eine Kündigung nicht sozial gerechtfertigt werden könnte.

II. Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG
Nach § 1a Abs. 1 KSchG hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Zahlung einer Abfindung, wenn

  1. der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG kündigt,
  2. der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebt und
  3. der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung darauf hingewiesen hat, dass in diesem Fall eine Abfindung gezahlt wird.

Die Norm belegt insofern, dass die Verknüpfung eines individuellen...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.03.2022 16:55
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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