Otto Schmidt Verlag

VG Saarlouis v. 14.3.2022 - 6 L 172/22

Erfolgloser Eilantrag von Notfallsanitätern gegen einrichtungsbezogene Impfpflicht

Nach der bei insoweit bestehenden offenen Erfolgsaussichten einer Klage vorzunehmenden umfassenden Folgen- und Interessenabwägung müssen die Interessen der Antragsteller, von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht vorläufig verschont bleiben und bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache weiterhin ungeimpft als Notfallsanitäter im Rettungsdienst tätig sein zu können, hinter den schwerwiegenden öffentlichen und privaten Interessen an einer Eindämmung des Infektionsgeschehens in den in § 20a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 IfSG benannten Einrichtungen und Unternehmen des Gesundheitswesens und der Pflege zurücktreten.

Der Sachverhalt:
Gemäß § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 IfSG müssen die in bestimmten Einrichtungen oder Unternehmen des Gesundheitswesens und der Pflege tätigen Personen ab dem 15.3.2022 geimpft oder genesen sein. Bis zum Ablauf des Datums haben Sie daher der Leitung der Einrichtung oder des Unternehmens einen Impf- oder Genesenennachweis oder aber ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer medizinischen Kontraindikation vorzulegen. Dieser Nachweis muss den Anforderungen des § 2 Nr. 3 und 5 COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung in ihrer jeweils geltenden Fassung entsprechen, wobei die Verordnung ihrerseits zur Konkretisierung der Anforderungen an den Nachweis auf die auf den Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts (RKI) veröffentlichten Vorgaben verweist.

Hiergegen haben sich die Antragsteller, zwei Notfallsanitäter, mit ihrem Eilantrag gewandt und geltend gemacht, dass die Vorschrift des § 20a Abs. 1 IfSG das aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Bestimmtheitsgebot und Gebot der Normenklarheit verletze sowie gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, die körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.

Das VG hat den Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO zurückgewiesen.

Die Gründe:
Bereits das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 10.2.2022 (Az: 1 BvR 2649/21) festgestellt, dass die Einführung einer einrichtungs- und unternehmensbezogenen Impf- und Nachweispflicht in § 20a IfSG, als solche keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Zwar beständen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in § 20a IfSG gewählten gesetzlichen Regelungstechnik, da der Gesetzgeber zunächst auf die COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung verweise, die ihrerseits aber dann zur Konkretisierung der Anforderungen an den vorzulegenden Impf- oder Genesenennachweis auf Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts verweise. Die Klärung der insoweit bestehenden Zweifel muss im vorliegenden Fall aber dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Nach der bei insoweit bestehenden offenen Erfolgsaussichten einer - von den Antragstellern noch nicht erhobenen - Klage vorzunehmenden umfassenden Folgen- und Interessenabwägung müssen die Interessen der Antragsteller, von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht vorläufig verschont bleiben und bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache weiterhin ungeimpft als Notfallsanitäter im Rettungsdienst tätig sein zu können, hinter den schwerwiegenden öffentlichen und privaten Interessen an einer Eindämmung des Infektionsgeschehens in den in § 20a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 IfSG benannten Einrichtungen und Unternehmen des Gesundheitswesens und der Pflege zurücktreten.

Nachdem der Scheitelpunkt der fünften Welle der COVID-19-Pandemie zunächst überschritten schien, ist nach dem wöchentlichen Lagebericht des RKI vom 10.3.2022 derzeit wieder ein Anstieg der COVID-19-Fälle zu beobachten. Insbesondere steigt die Zahl der Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. Es herrscht somit weiterhin ein sehr hoher Infektionsdruck in der Bevölkerung.

Die 7-Tage-Inzidenz beträgt laut RKI (Stand 14.3.2022) im Bund 1.543,0, im Saarland sogar 1.925,9. Die Infektionswahrscheinlichkeit insbesondere von ungeimpften Personen ist weiterhin sehr groß. Es besteht somit eine erhöhte Gefährdung, dass die in den in § 20a Abs. 1 IfSG genannten Einrichtungen und Unternehmen tätigen Personen, sofern diese - wie die Antragsteller - nicht geimpft sind, sich mit dem Coronavirus infizieren und sie dann das Virus auf vulnerable Personen, die sich grundsätzlich nur eingeschränkt selbst gegen eine Infektion schützen können und die zudem auf die Inanspruchnahme der Leistungen, die die der Gesundheit und Pflege dienenden Einrichtungen und Unternehmen i.S.d. § 20a Abs. 1 IfSG erbringen, ganz überwiegend angewiesen sind, übertragen werden könnten.

Damit ist für vulnerable Personen, die sich grundsätzlich leichter infizierten, weil bei ihnen - auch im Fall einer Impfung - ein von vornherein reduzierter und im Laufe der Zeit schneller abnehmender Immunschutz besteht, ein erhöhtes Risiko verbunden, schwer oder gar tödlich zu erkranken. Diesen hohen gesundheitlichen Risiken steht kein vergleichbar hohes Gesundheitsrisiko der Antragsteller im Fall einer Impfung gegenüber. Schwerwiegende Nebenwirkungen oder gravierende Folgen, die über die durch die Verabreichung des Impfstoffes  induzierte Immunantwort hinausgingen, sind nach derzeitigem Kenntnisstand sehr selten.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.03.2022 08:54
Quelle: Pressemitteilung des VG Saarlouis v. 14.3.2022

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