Otto Schmidt Verlag

LAG Hamm v. 27.1.2022 - 5 Sa 1030/21

Zeiten einer Quarantäne sind nicht auf den Urlaub anzurechnen

Laut LAG Hamm sind Zeiten einer Corona-Quarantäne nicht auf den Urlaub anzurechnen. Fallen bereits bewilligte Urlaubstage mit einer amtlichen Quarantäne-Anordnung zusammen, sind diese nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen, sondern dem Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt nachzugewähren. Mit dieser Entscheidung weicht das LAG Hamm u.a. von der Auffassung des LAG Düsseldorf (Urt. v. 15.10.2021 - 7 Sa 857/21) und des LAG Köln (Urt. v. 13.12.2021 - 2 Sa 488/21) ab, weshalb es auch die Revision zuließ.

Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Gutschrift von acht Urlaubstagen für das Jahr 2020. Der Kläger ist seit 1993 als Schlosser bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie NRW Anwendung.

In der Zeit vom 12.10. bis 21.10.2020 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß Urlaub im Umfang von acht Tagen. Unter dem 14.10.2020 erließ die Stadt Hagen eine Ordnungsverfügung, mit welcher sie die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 9.10.2020 bis 21.10.2020 anordnete, da er zuvor mit einem bestätigten COVID-19-Fall in Kontakt gekommen war. In der Quarantäneanordnung heißt es u.a.:

„Es ist in dieser Zeit untersagt, ihre Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamtes zu verlassen. Ferner ist es ihnen in dieser Zeit untersagt, Besuch von Personen zu empfangen, die nicht Ihrem Haushalt angehören.“ Der Kläger informierte die Beklagte unverzüglich über die Quarantäne.

Das Zeitkonto des Klägers wurde mit acht Urlaubstagen belastet, wogegen sich seine Klage richtet. Das ArbG wies die Klage ab. Die Berufung vor dem LAG hatte Erfolg. Die Revision wurde zugelassen.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des ArbG ist § 9 BUrlG jedenfalls analog auf den Fall einer angeordneten Quarantäne anzuwenden. Die Zeiten der Quarantäne sind analog § 9 BUrlG nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen. Diese sind dem Kläger zu einem späteren Zeitpunkt nachzugewähren.

Die Frage, ob eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG im Fall einer angeordneten Quarantäne möglich ist, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet. Im Fall einer angeordneten Quarantäne ist aber eine Vergleichbarkeit mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers entgegen der Auffassung des LAG Düsseldorf (Urteil v. 15.10.2021 - 7 Sa 857/21) sowie LAG Köln (13.12.2021 - 2 Sa 488/21) sowie weiterer Instanzgerichte (ArbG Neumünster, Urt. v. 3.8.2021 - 3 Ca 362b/21; ArbG Halle, Urt. v. 23.6.2021 - 4 Ca 285/21; ArbG Bremen-Bremerhaven, Urt. v. 8.6.2021 - 6 Ca 6035/21) gegeben.

Zwar schuldet der Arbeitgeber tatsächlich keinen "Urlaubserfolg". Der Arbeitnehmer soll aber nach § 1 BUrlG zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden, um ihm die uneingeschränkte Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung seiner Freizeit zu geben.

Die Quarantäne-Bestimmungen verhindern dieses abstrakt gesehen generell, da sie bestimmen, wo sich eine Person aufzuhalten hat, mit wem sie Kontakt haben darf, ob sie sich gegebenenfalls Untersuchungen unterziehen muss (äußerliche Untersuchungen, Abstriche von Haut und Schleimhäuten), mit der Folge, dass sie für diese Untersuchungen auch zur Verfügung stehen muss (siehe Quarantäne-Anordnungen bezüglich des Klägers vom 14.10.2020). Nicht zu vernachlässigen ist dabei, dass dieser Zeitraum auch mit der Belastung verbunden ist, einen jederzeitigen schweren Ausbruch der Erkrankung erfahren zu können, unabhängig davon, ob die Quarantäne wegen eines positiven Testergebnisses des Betroffenen oder - wie bei dem Kläger - aufgrund eines Kontaktes zu einem bestätigten Covid-19-Fall ausgesprochen wurde.

Die Anordnung einer Quarantäne steht damit einer freien, selbstbestimmten Gestaltung des Urlaubszeitraumes diametral gegenüber, unabhängig davon, wie der einzelne Betroffene diese persönlich empfindet.

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Anmerkung: Das LAG Schleswig-Holstein (15.2.2022 - 1 Sa 208/21) schloss sich mittlerweile der Ansicht von LAG Düsseldorf und LAG Köln an und urteilte für eine Anrechenbarkeit der Quarantäne-Tage auf den Jahresurlaub.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.03.2022 15:21
Quelle: Justiz NRW online

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