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Aktuell im ArbRB

Die Dienstreise im Kollektivarbeitsrecht - Welche Beteiligungsrechte sind zu beachten? (Lunk, ArbRB 2022, 47)

Anknüpfend an seinen Beitrag zur Dienstreise im Individualarbeitsrecht (ArbRB 2021, 371 ff.) erörtert der Autor aktuelle mitbestimmungsrechtliche Fragen zu Dienstreisen: Gehören Dienstreisezeiten zur Arbeitszeit i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG? Welche Bedeutung kommt dem neu geschaffenen Mitbestimmungsrecht bei mobiler Arbeit gem. § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG in diesem Zusammenhang zu und wann stellt eine Dienstreise eine Versetzung dar?

I. Abgrenzung zu Fahrt- und Wegezeiten
II. Die einzelnen Mitbestimmungsrechte

1. § 87 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BetrVG
a) Die Rechtsprechung des 1. Senats des BAG
aa) § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG
bb) § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG
b) Bewertung
2. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG
3. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG
4. § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG
5. §§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG
a) Arbeitnehmer mit wechselnden Arbeitsorten
b) Arbeitnehmer mit festen Arbeitsorten
III. Fazit


I. Abgrenzung zu Fahrt- und Wegezeiten

Wie im Individualarbeitsrecht  ist auch bezüglich der mitbestimmungsrechtlichen Behandlung von Reisen im weiteren Sinn zwischen Dienstreisen sowie Fahrt- und Wegezeiten zu differenzieren: Während Wegezeiten mitbestimmungsrechtlich keine Rolle spielen und auch die Behandlung der Fahrzeiten betriebsverfassungsrechtlich regelmäßig keine Probleme bereitet, bedarf es einer näheren Auseinandersetzung mit Dienstreisen. Praxisrelevant sind vor allem die Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BetrVG. Dienstreisen können zudem Versetzungen i.S.v. § 99, § 95 Abs. 3 BetrVG sein.

II. Die einzelnen Mitbestimmungsrechte

1. § 87 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BetrVG

Mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist, soweit keine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ist u.a. die vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit.
Eine Dienstreise außerhalb der täglichen Arbeitszeit könnte beide Beteiligungsrechte auslösen. Die Tarifsperre des § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG greift für Dienstreisen regelmäßig nicht. Gesetzliche Regelungen, insbesondere die Höchstarbeitszeiten, beschränken zwar das Mitbestimmungsrecht; jedoch besteht ein Beteiligungsrecht, soweit ein Regelungsspielraum verbleibt (bspw. über § 7 ArbZG).

Problem: Dienstreisen beginnen oder enden außerhalb der mitbestimmten Arbeitszeit. Ist die Dienstreisezeit Bestandteil der mitbestimmten Arbeitszeit, so dass der Betriebsrat bei Dienstreisen außerhalb der mitbestimmten betriebsüblichen Arbeitszeit mitzubestimmen hat?

a) Die Rechtsprechung des 1. Senats des BAG

aa) § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG

Die Mitbestimmung aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG soll die Interessen der Arbeitnehmer an einer sinnvollen Arbeits- und Freizeiteinteilung und -gestaltung schützen.

Zwar erkennt der 1. Senat des BAG die mit der Reise verbundene Belastung an; bei Gleichsetzung der Reisezeit mit der Arbeitszeit im mitbestimmungsrechtlichen Sinne müsste dann aber die gesamte Zeit einer Dienstreise als mitbestimmte Arbeitszeit gewertet werden, was nicht gewollt sein könne. Daher hält der Senat Reisezeiten, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit liegen, nicht für mitbestimmungsrechtlich relevant.

Arbeitszeit i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG sei die Zeit, in welcher der Arbeitnehmer verpflichtet sei, seine vertraglich geschuldete Arbeit zu leisten. Durch das bloße Reisen erbringe der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung, weil das Reisen nicht zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten zähle. Zwar sieht der Senat das Kriterium der „Befriedigung eines fremden Bedürfnisses“ als erfüllt an, meint jedoch, mit dem Reisen seien keine Tätigkeiten verbunden, die im Interesse des Arbeitgebers ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.02.2022 16:50
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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