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Der unzutreffende Beweislastautomatismus bei Entgeltgleichheitsklagen im Rahmen des § 22 AGG - Zugleich Besprechung des Urteils des BAG v. 21.1.2021 - 8 AZR 488/19 (Uffmann, ZFA 2022, 51)

Mit seinem Urteil versucht der Achte Senat dem unzulänglichen Auskunftsanspruch gem. §§ 10 ff. EntgTranspG zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen. Liege das eigene Entgelt unter dem Medianentgelt, führe dies zwingend zur Beweislastumkehr bei einer Entgeltgleichheitsklage. Was als europarechtlich zwingend daherkommt, erweist sich allerdings als nicht haltbar.

I. Streifzug durch das Urteil
1. Höheres Medianentgelt als Indiz i.S.d. § 22 AGG
2. Paarvergleich als methodischer „Begründungskniff“
3. Einwand: Zu enge Beurteilungsgrundlage für Kausalitätswahrscheinlichkeit
4. Gegeneinwand: Effektive Bekämpfung des Missstandes bei Entgeltgleichheit
II. Entgelttransparenz – erforderliche Entgeltgleichheitsregulierung?
1. Grundsatz der Entgeltgleichheit im europäischen Mehrebenensystem
2. Gender Pay Gap: statistisch belegter Missstand ...
3. Oder politisches Narrativ?
4. Zwischenfazit: Transparenzregulierung ohne fundierte Evidenz
III. Auskunft gem. § 11 Abs. 3 EntgTranspG
1. Mitzuteilende Informationen
2. Vergleichstätigkeit als Zuordnungsmaßstab – keine „personelle“  Vergleichbarkeit
3. Ermittlung des Medians
IV. Beurteilung der Aussagekraft der mitzuteilenden Informationen
1. Sachverhalt des BAG-Urteils 8 AZR 488/19
a) Die Klägerin: Tätigkeit als Abteilungsleiterin bei einer Versicherung
b) Die Vergleichsgruppe: Abteilungsleiter seit 2012 oder alle Abteilungsleiter?
c) Zusätzlich vorliegende Informationen
2. Tatsächliche Aufbereitung: Hinweise auf Entgeltdiskriminierung?
a) Vergütungsdifferenz
b) Problem: Der vergleichbare Arbeitnehmer fehlt
c) Was sagt der Median im vorliegenden Kontext?
3. Normative Bewertung: Kausalitätswahrscheinlichkeit i.S.d. § 22 AGG?
a) Beweismaß und Bewertungsgrundlage des § 22 AGG
b) Lösungsweg des BAG
aa) Automatismus unionsrechtlich nicht vorgezeichnet
bb) Auch nicht über § 15 Abs. 5 EntgTranspG begründbar
V. Ergebnisse in Thesen


I. Streifzug durch das Urteil

1. Höheres Medianentgelt als Indiz i.S.d. § 22 AGG

In dem BAG-Urt. v. 21.1.2021 – 8 AZR 488/19  geht es maßgeblich um Zahlen bzw. genauer um deren dogmatische Bewertung. Denn abgesehen davon, dass sich der Achte Senat erstmals klar zur materiellen Anspruchsgrundlage einer Entgeltgleichheitsklage  positioniert – er stützt diese sowohl auf den direkt anwendbaren Art. 157 Abs. 1 AEUV, als auch auf die §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG (Rz. 17 ff.)  –, verhilft er diesem materiellen Anspruch zu erhöhter prozessualer Durchschlagskraft.

Entgegen der bislang ganz überwiegenden Ansicht der Literatur, der sich auch das LAG Niedersachsen als Vorinstanz angeschlossen hatte, stuft der erkennende Senat das nach § 11 Abs. 3 EntgTranspG mitzuteilende Medianentgelt, sollte es über dem Gehalt der auf Entgeltdifferenz klagenden Frau liegen, als Indiz ein, welches eine Benachteiligung wegen des Geschlechts i.S.d. Beweiserleichterung des § 22 AGG vermuten lässt. Bildhaft gesprochen hat das BAG dem bislang als „Papiertiger“  titulierten Auskunftsanspruch Zähne verliehen. Der erkennende Senat vermeidet dabei gezielt eine Diskussion um die beweisrechtliche Aussagekraft des Medians, was auch wenig erfolgversprechend gewesen wäre. Schließlich hat die ganz überwiegende Ansicht der Literatur die Bewertungsunsicherheiten bezüglich einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung bereits präzise herausgearbeitet  mit dem ernüchternden Ergebnis, dass der Median als Indiz für eine geschlechtsbezogene Entgeltbenachteiligung von „prekäre(m) Richtigkeitsgehalt“ sei.

2. Paarvergleich als methodischer „Begründungskniff“
Vor diesem Hintergrund stützt sich der Achte Senat auf eine besondere Fallgruppe aus der Rechtsprechung des EuGH zur Beweislast bei Entgeltdiskriminierungsklagen, die er im Lichte des Art. 157 AEUV sowie des Art. 19 Abs. 4 RL 2006/54/EG unionsrechtskonform in § 22 AGG, dessen Anwendung er für die Entgeltgleichheitsklage richtigerweise bejaht, hineinliest. Nach dieser in der Rechtssache Kenny u.a. zusammengefassten Rechtsprechung des EuGH  kann für den sekundärrechtlich für eine Beweislastumkehr darzulegenden Anschein einer Diskriminierung ein sog. Paarvergleich ausreichend sein. Kann die klagende Arbeitnehmerin darlegen und beweisen, dass ein männlicher Arbeitnehmer gleiche bzw. gleichwertige Arbeit verrichtet und ein höheres Arbeitsentgelt erhält, bestünde dem ersten Anschein nach eine nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbare Diskriminierung, die der Arbeitgeber widerlegen müsse.  Vermutungstatsache im Sinne einer nach der Lebenserfahrung überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine Kausalität zwischen Entgeltbenachteiligung und Geschlecht gem. Art. 19 Abs. 1 RL 2006/54/EG scheint nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH damit bereits die bessere Bezahlung eines Kollegen des anderen Geschlechts mit gleicher bzw. vergleichbarer Tätigkeit zu sein.

Indem der Achte Senat nun die Prämisse aufstellt, dass in dem mitgeteilten Medianentgelt nach § 11 Abs. 3 EntgTranspG zugleich eine konkrete Vergleichsperson i.S.d. § 3 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG mitenthalten sei, weil entweder ein konkreter oder ein hypothetischer Beschäftigter des anderen Geschlechts für eine gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeit dieses Entgelt erhalte, ist die Tür zu dem Konzept des Paarvergleichs geöffnet. Ausgehend hiervon setzt sich der Achte Senat nicht weiter damit auseinander, wie aus dem Medianentgelt nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Entgeltdiskriminierung zu folgern sein soll. Zweifelhaft ist das deshalb, weil der Median eben nicht nur die Auskunft beinhaltet, dass ein Arbeitnehmer des anderen Geschlechts für die gleiche oder vergleichbare Tätigkeit ggf. ein höheres Entgelt erhält. Als Wert der Mitte ist damit zugleich die Information verbunden, dass die Hälfte der Personen des anderen Geschlechts aus der Vergleichsgruppe eben auch weniger verdient oder kurz zusammengefasst: Nicht nur die klagende Frau, sondern auch Männer verdienen bei gleicher bzw. gleichwertiger Tätigkeit weniger als andere Männer.

3. Einwand: Zu enge Beurteilungsgrundlage für Kausalitätswahrscheinlichkeit
Die entscheidende Frage ist daher, ob das Konzept des Paarvergleichs ohne weiteres auf die vorliegende Konstellation übertragen werden kann. Denn selbst wenn man aus dem Median ein konkretes Entgelt herausliest, bleibt es dabei, dass der Median noch weitere Aussagen beinhaltet, die der Achte Senat jedoch im Unterschied zum LAG Niedersachsen völlig ausblendet. Kommt es für die Beurteilung der Kausalitätswahrscheinlichkeit nach § 22 AGG also nicht mehr auf ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.02.2022 17:07
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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