Otto Schmidt Verlag

ArbG Gera v. 24.11.2021 - 5 Ca 935/21

Keine Betriebsänderung bei fehlender Verminderung der Betriebskapazität

Es besteht kein Anspruch auf Nachteilsausgleich gem. § 113 BetrVG, wenn nur die Arbeitszeit und die Maschinenlaufzeiten verkürzt werden, soweit es dem Arbeitgeber jederzeit möglich ist, im Rahmen seines Weisungsrechts wieder die Arbeitszeit anzuordnen, die vor der Verkürzung geleistet wurde und mit den vorhandenen Maschinen die ursprüngliche Leistungsfähigkeit des Betriebes wieder erreicht werden kann. In einem solchen Fall wurde die Leistungsfähigkeit des Betriebes nicht herabgesetzt, liegt keine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG vor.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist bei der Beklagten als Mitarbeiterin „Einleger Tag“ im Bereich „Versand“ - wie auch die anderen Schichtarbeiter - mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 28 Stunden und einem Bruttostundenlohn i.H.v. 10 € in Nachtschicht beschäftigt. Etwa 145 der ca. 170 Beschäftigten sind in einem Schichtsystem tätig. Entweder in der Nachtschicht oder in der Tagschicht. Ein Wechsel in den Schichten erfolgt regelmäßig nicht. Alle Schichtarbeiter haben arbeitsvertraglich mit der Beklagte die Verpflichtung vereinbart, auch Überstunden, die in Geld ausgeglichen werden, zu leisten. Bis zum Jahresende 2020 haben die Klägerin und die anderen Arbeitnehmer der Beklagten über die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit hinaus regelmäßig mehr Arbeit geleistet, die Klägerin 39 Stunden und mehr in der Woche montags bis freitags.

Bei der Beklagten wird eine regelmäßig werktäglich erscheinende Tageszeitung sowie der Allgemeine Anzeiger am Freitag bzw. am Wochenende gedruckt. Zum 1.1.2021 wurde ein Druckauftrag storniert. Der Verlust dieses Druckauftrages wurde nicht kompensiert. Infolgedessen reduzierte sich die Arbeitszeit von ca. 145 Arbeitnehmern. Diese Reduzierung erfolgte durch die Beklagte, ohne mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich versucht zu haben. Keine der bei der Beklagten vorhandenen Maschinen wurde abgebaut oder wird nicht mehr betrieben. Es wurden keine Arbeitnehmer gekündigt, sie werden lediglich in geringerem Zeitumfang, aber mindestens mit der vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit von 28 Stunden beschäftigt. Die Maschinen werden weniger ausgelastet.

Der geringere Beschäftigungsumfang der Klägerin führte bei ihr zu einem Einkommensverlust für wöchentlich 11 Arbeitsstunden, den sie für den Zeitraum Januar bis Juli 2021 mit rund 477 € brutto monatlich bezifferte und den sie gegenüber der Beklagten geltend machte. Die Klägerin war der Ansicht, dass sie Anspruch auf einen Nachteilsausgleich gem. § 113 BetrVG habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Allerdings wurde die Berufung zugelassen.

Die Gründe:
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Nachteilsausgleich i.S.d. § 113 BetrVG zu.

Voraussetzung für ihren Anspruch ist, dass die Beklagte eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Entlassen wurde kein Arbeitnehmer. Nicht ausgeschlossen sind andere wirtschaftliche Nachteile. Voraussetzung ist jedoch, dass eine Betriebsänderung ohne des Interessenausgleichsversuchs mit dem Betriebsrat durchgeführt wurde. Zwar besteht bei der Beklagten ein Betriebsrat, jedoch liegt keine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG vor.

Die Beklagte hat mit der veränderten Gestaltung der Arbeitszeit und der Reduzierung der Maschinen- und Anlagenlaufzeiten ihre betriebliche Produktion an die verschlechterte Auftragslage angepasst. Sie hat jedoch durch die geringere Zuweisung von wöchentlicher Arbeitszeit an die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer keine Personalreduzierung vorgenommen, mit der die betriebliche Leistungsfähigkeit auf einen Stand zurückgeführt wurde, der dem verminderten Auftragsvolumen entspricht. Dies hatte auch nicht zur Folge, dass die Betriebsanlagen wegen der verminderten Arbeitszeit nicht mehr in dem Umfang wie bis zum 31.12.2020 ausgelastet werden können, da die Beklagte eine höhere wöchentliche Arbeitszeit abverlangen kann. Damit liegt keine Reduzierung der Leistungsfähigkeit des Betriebes vor. Mangels Verminderung der Betriebskapazität liegt keine Betriebsänderung vor.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.02.2022 15:05
Quelle: Justiz Thüringen online

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