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Bundesrat stimmt gegen die 5. EU-Antidiskriminierungsrichtlinie und gegen eine Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 28.05.2021 gegen zwei Anträge der Bundesländer Berlin und Bremen gestimmt, die den rechtlichen Schutz vor Diskriminierungen stärken sollten: Einerseits haben die Bundesländer die Verabschiedung der 5. EU-Antidiskriminierungsrichtlinie (unter a) und andererseits eine Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) (unter b) gefordert.

I. Verfahren

a) Antrag für die Verabschiedung der 5. EU-Antidiskriminierungsrichtlinie

28.05.2021  Beschluss des Bundesrates 
22.02.2021 Empfehlungen der Ausschüsse 
24.11.2020 Antrag des Landes Berlin

b) Antrag für eine Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)

28.05.2021 Beschluss des Bundesrates
22.02.2021 Empfehlungen der Ausschüsse
24.11.2020 Antrag des Landes Berlin 

II. Hintergrund und Ziele

a) Antrag für die Verabschiedung der 5. EU-Antidiskriminierungsrichtlinie

Die geltenden vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien - (i) die sog. Antirassismusrichtlinie (2000/43/EG), (ii) die sog. Rahmenrichtlinie Beschäftigung (2000/78/EG) (iii) die sog. Gender-Richtlinie in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (2006/54/EG) und (iv) die sog. Gender-Richtlinie außerhalb der Arbeitswelt (2004/113/EG) - stellen einen umfassenden Diskriminierungsschutz in den EU-Mitgliedstaaten nicht sicher. Denn zum einen gelten für die unterschiedlichen Merkmale unterschiedliche Schutzstandards und zum anderen bestehen erhebliche Schutzlücken in den Bereichen Sozialschutz, Bildung sowie im Güter- und Dienstleistungsverkehr hinsichtlich der Merkmale Religion und Weltanschauung, Behinderung, (Lebens-)Alter und sexuelle Ausrichtung. 

Zur Schließung dieser Schutzlücken wurde am 02.07.2008 der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, KOM(2008) 426 endg., vorgelegt. Diese sog. 5. EU-Antidiskriminierungsrichtlinie soll auch außerhalb von Beschäftigung und Beruf gelten: sie soll insbesondere für alle Personen im öffentlichen und privaten Bereich, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf den Sozialschutz einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste; der sozialen Vergünstigungen; der Bildung und den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum, gelten. Ziel der Richtlinie ist europaweit ein einheitliches Schutzniveau festzulegen: sie soll insbesondere in allen Mitgliedstaaten das Schutzniveau für alle Diskriminierungsmerkmale auf das Niveau der Antirassismusrichtlinie aus dem Jahr 2000 anheben (sog. horizontaler Ansatz).

Einzelne Mitgliedstaaten, darunter Tschechien und Dänemark, haben gegen den Erlass der 5. EU- Antidiskriminierungsrichtlinie Parlamentsvorbehalte geltend gemacht. Deutschland hält neben Polen bislang an einem allgemeinen Vorbehalt fest (BT-Drs. 19/6961, S. 86). Obwohl seit 2008 mehr als 20 EU-Ratsvorsitze Anstrengungen unternommen haben, konnte die erforderliche Einstimmigkeit im Rat zur Verabschiedung der sog. 5. EU-Antidiskriminierungsrichtlinie bislang nicht erreicht werden. 

b) Antrag für eine Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)

In Kenntnis der tatsächlichen Schwierigkeiten, auf die die Verabschiedung der 5. EU- Antidiskriminierungsrichtlinie stoßen könnte, haben die Länder Berlin und Bremen weiterhin einen Antrag für Novellierung des AGG gestellt. Das AGG setzt die geltenden vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien in deutsches Recht um und ist auf Bundesebene das zentrale Instrument der Antidiskriminierungsarbeit. Nichtsdestotrotz zeigt die nunmehr 14-jährige Anwendung des AGG, dass ein deutlicher Reformbedarf besteht. Die Betroffenen sollen künftig wirksam ihre Rechte wahrnehmen können und besser vor Diskriminierungen geschützt werden. Bei der Reform ist die vollständige Umsetzung der Vorgaben übergeordneter Rechtsquellen, wie z.B. den zugrundeliegenden EU-Richtlinien und der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung, sicherzustellen. Die Reform soll sich insbesondere nach den Ergebnissen und Vorschlägen der von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes beauftragten Evaluation des AGG aus dem Jahr 2016 richten. 

III. Wesentliche Inhalte

a) Antrag für die Verabschiedung der 5. EU-Antidiskriminierungsrichtlinie

Da die Diskriminierung in der EU nach wie vor eine alltägliche Wirklichkeit ist und in Hinblick auf den Jahresbericht 2019 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, nach dem die Zahl der gemeldeten Diskriminierungsfälle während der Corona-Pandemie stark gestiegen ist, haben die Bundesländer Berlin und Bremen gefordert, dass die Bundesrepublik Deutschland während ihrer EU-Ratpräsidentschaft die Verabschiedung der - bereits gefassten - 5. EU-Antidiskriminierungsrichtlinie fördert. Die Umsetzung der Richtlinie in die innerstaatliche Rechtsordnung sollte Lücken im Diskriminierungsschutz auf nationaler Ebene schließen, insbesondere im Bereich des Sozialschutzes, des öffentlich-rechtlichen Bildungswesens und des Zivilrechtsverkehrs, wobei hier der Umsetzungsbedarf geringer ist, da das AGG schon einen gewissen Schutz gewährt. Der Bundesrat hat, wie einleitend erwähnt, gegen diesen Antrag der Bundesländer gestimmt.

b) Antrag für eine Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)

Das AGG ist nach der vorgeschlagenen Reform dahingehend anzupassen und fortzuentwickeln, dass 

  • der Begriff der "Benachteiligung" dem internationalen Sprachgebrauch folgend durch den Begriff der "Diskriminierung" ersetzt wird,
  • der Katalog der Diskriminierungsgründe des § 1 AGG begrifflich geschärft und neue Diskriminierungsdimensionen aufgenommen werden, insbesondere: (i) Aufnahme des Diskriminierungsgrundes "geschlechtliche Identität", (ii) Ersetzung des Begriffes "Alter" durch die umfassendere Bezeichnung "Lebensalter", (iii) Konkretisierung des Merkmals "ethnische Herkunft" durch explizite Einbeziehung der Diskriminierungsdimension "Sprache", (iv) Aufnahme des Diskriminierungsgrundes "chronische Erkrankung", (v) Aufnahme eines Diskriminierungsgrundes "familiärer Status" und Prüfung, ob die umfassendere Diskriminierungsdimension des "sozialen Status" ergänzend oder anstelle des "familiären Status" im Diskriminierungskatalog verankert werden kann, 
  • der Schutz vor sexueller Belästigung durch eine Erweiterung des Geltungsbereiches über das Erwerbsleben hinaus verbessert wird,
  • die Verweigerung angemessener Vorkehrungen im Sinne der UN-BRK als Diskriminierungstatbestand aufgenommen wird, 
  • diskriminierende Kündigungen vom Geltungsbereich des AGG vollständig erfasst werden, 
  • die Regelungen zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen geprüft werden,
  • die Beschwerderechte von Diskriminierung betroffener Personen und der Schutz vor Viktimisierung gestärkt werden, 
  • Lücken im Diskriminierungsschutz, die durch die zahlreichen Ausnahmeregelungen für den Bereich des Wohnungsmarkts bedingt sind, geschlossen werden, 
  • die Ausnahmeregelung des § 20 Abs. 2 AGG für privatrechtliche Versicherungen eingeschränkt und strengere Anforderungen hinsichtlich des Nachweises der Berechtigung der Ungleichbehandlung gestellt werden, 
  • die Rechtsdurchsetzung durch eine Verlängerung der im AGG geregelten Fristen von zwei auf sechs Monate entscheidend erleichtert wird, 
  • die Beweislasterleichterung geprüft werden, 
  • ein Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände geschaffen wird und 
  • die Befugnisse und die Stellung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gestärkt und in Einklang mit den Standards der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) sowie der Empfehlung 2018/951 der Europäischen Kommission vom 22.06.2018 gebracht werden.

Der Bundesrat hat, wie vorerwähnt, beschlossen, eine Entschließung zur Novellierung des AGG in diese Richtung nicht zu fassen.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.06.2021,
Quelle: Stamatia Kynigopoulou, Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht der Universität zu Köln