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Bundesrat stimmt Teilhabestärkungsgesetz zu

Nach dem Bundestag hat am 28. Mai 2021 auch der Bundesrat dem Teilhabestärkungsgesetz zugestimmt, um Teilhabechancen für Menschen mit Behinderungen in deren Alltag und Arbeitsleben zu verbessern.

I. Verfahren

28.05.2021 Beschlussdrucksache des Bundesrates
12.02.2021 Gesetzesentwurf der Bundesregierung
22.12.2020 Referentenentwurf des BMAS

II. Hintergrund

Mit dem Gesetz sollen weitere Verbesserungen und mehr Teilhabechancen für Menschen mit Behinderungen erreicht werden. Zudem sollen soziale Leistungen über das Bildungs- und Teilhabepaket rechtssicher gemacht und vereinfachte, elektronische Anträge auf Kurzarbeit ermöglicht werden.

Das Gesetz nimmt insbesondere auf die folgenden Punkte Bezug:

a) Es gab in Deutschland bislang keine ausdrücklichen gesetzlichen Vorschriften, die die Begleitung von Menschen mit Behinderungen durch Assistenzhunde oder Blindenführhunde zu öffentlichen und privaten Anlagen und Einrichtungen regeln. Immer wieder kam es daher zu Streitfällen zwischen Hundehaltern und bspw. Betreibern von Arztpraxen, Geschäften und Theatern, die auch in Gerichtsverfahren mit unterschiedlichem Ausgang mündeten.

b) Bislang hat Deutschland die sich aus Art. 16 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ergebenden Verpflichtung, alle Menschen mit Behinderungen vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte zu schützen, nicht umgesetzt.

c) Die Kriterien für die Berechtigung zu Leistungen der Eingliederungshilfe Art. 25a BTHG (§ 99 SGB IX) sind durch Orientierung an den Begrifflichkeiten der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation anzupassen.

d) Ein Beschluss des BVerfG aus 2020 ist umzusetzen, der Teile des kommunalen Bildungspakets im SGB XII für nicht mit dem GG vereinbar erklärt hat, weil eine unzulässige Aufgabenübertragung durch ein Bundesgesetz auf die Kommunen vorläge.

e) Bisher kamen digitale Gesundheitsanwendungen im Bereich der medizinischen Rehabilitation kaum zur Anwendung.

f) Die Anträge auf Kurzarbeitergeld sind pandemiebedingt stark angestiegen. Das Antragsverfahren ist zu beschleunigen und eine Entlastung bei Arbeitgebern und der Bundesagentur für Arbeit zu erreichen.

g) Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beziehen, sollen verbessert werden (SGB II und SGB III).

h) Menschen mit Behinderungen, die sich schon im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen oder eines anderen Leistungsanbieters befinden, konnten das Budget für Ausbildung (§ 61a SGB IX) bisher nicht in Anspruch nehmen.

III. Wesentliche Inhalte

In Entsprechung mit den vorerwähnten Defiziten bzw. Zielen sieht der Gesetzesentwurf Folgendes vor:

a) In das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) wird eine explizite Regelung eingeführt, nach der Eigentümer, Besitzer und Betreiber von beweglichen oder unbeweglichen Anlagen und Einrichtungen Menschen mit Behinderungen den Zutritt zu ihren typischerweise für den allgemeinen Publikums- und Benutzungsverkehr zugänglichen Anlagen und Einrichtungen nicht wegen der Begleitung durch den Assistenzhund oder den Blindenführhund verweigern dürfen - auch wenn Hunde sonst verboten sind. Diese Duldungspflicht trifft nicht nur Träger öffentlicher Gewalt, sondern auch private natürliche und juristische Personen.

b) Das SGB IX wird um eine Gewaltschutzregelung ergänzt. Leistungserbringer von Reha- und Teilhabeleistungen sollen geeignete Maßnahmen treffen, um den Schutz vor Gewalt, insbesondere für Frauen, zu gewährleisten.

c) Die ausstehende Regelung zum leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe des SGB IX, wie in dem im Jahr 2016 verabschiedeten BTHG angekündigt, wird in einer modernen und diskriminierungsfreien Sprache vorgenommen.

d) Der Gesetzentwurf sieht eine landesrechtliche Bestimmung der Träger der Sozialhilfe im SGB XII vor. Mit dieser Änderung wird klargestellt, dass künftig ausschließlich die Länder bestimmen, wer Träger der Sozialhilfe ist, und somit die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket über das Jahr 2021 hinaus sichergestellt.

e) Durch eine Ergänzung des SGB IX werden digitale Gesundheitsanwendungen in den Leistungskatalog der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation aufgenommen.

f) Die Übermittlung der Anträge für Kurzarbeitergeld, Saisonkurzarbeitergeld sowie die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge und der zusätzlichen Leistungen zum Saison-Kurzarbeitergeld können zukünftig als optionales Verfahren auch elektronisch über die Entgeltabrechnungsprogramme der Arbeitgeber und dem damit verbundenen Meldeverfahren beantragt werden.

g) Jobcenter können Rehabilitand*innen so fördern wie alle anderen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Die Möglichkeiten der aktiven Arbeitsförderung in den Jobcentern und Arbeitsagenturen werden ausgebaut.

h) Das Budget für Ausbildung wird erweitert. Künftig sollen auch Menschen, die schon in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten, über das Budget für Ausbildung gefördert werden können. So wird eine weitere Möglichkeit geschaffen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu werden.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.02.2021,
Quelle: Stamatia Kynigopoulou, Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht der Universität zu Köln