Otto Schmidt Verlag

LAG Baden-Württemberg v. 20.5.2022 - 12 TaBV 4/21

Erforderlichkeit der Übermittlung der Anzahl und Namen von schwerbehinderten/gleichgestellten Menschen an den Betriebsrat

Der nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG erforderliche Aufgabenbezug des Auskunftsbegehrens des Betriebsrates bezogen auf die Anzahl und Namen der im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten/diesen gleichgestellten Menschen kann sich aus der geplanten Einberufung einer Wahlversammlung durch den Betriebsrat zur Wahl eines Wahlvorstandes im Vorfeld der geplanten Wahl einer Schwerbehindertenvertretung ergeben.

Der Sachverhalt:
Beim Beteiligten zu 1) handelt es sich um den Betriebsrat der Beteiligten zu 2), einer Entsorgungsdienstleisterin. Sie besteht insgesamt aus drei Betrieben. Der Betriebsrat begehrte im Vorfeld des Verfahrens sowie erstinstanzlich die Auskunft über alle im Betrieb und im Unternehmen beschäftigten schwerbehinderten Menschen und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen i.S.d. § 2 Abs. 2 und 3 SGB IX sowie die Überlassung einer Kopie der für die Bundesagentur für Arbeit bestimmten Anzeige nebst Verzeichnissen nach § 163 Abs. 2 S. 3 SGB IX. Nachdem die Arbeitgeberin außergerichtlich dem nicht nachkam, wurde sie nochmals mit Schreiben aus März 2020 zur Übermittlung des Verzeichnisses aufgefordert.

Die Arbeitgeberin lehnte die Übermittlung insbesondere wegen datenschutzrechtlicher Bedenken fernmündlich ab. Sie begehrte daraufhin von den bei ihr beschäftigten schwerbehinderten Menschen eine Einwilligung zur Übermittlung der Daten gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. a DSGVO. Nachdem diese von nicht allen Arbeitnehmern erteilt worden war, verweigerte die Arbeitgeberin die Datenübermittlung endgültig.

Das Arbeitsgericht hat zwar die Hauptanträge zurückgewiesen, die Arbeitgeberin jedoch nach den Hilfsanträgen verpflichtet, die Anzahl und Namen der schwerbehinderten Menschen bzw. gleichgestellten Menschen i.S.v. § 2 SGB IX bezogen auf einen Betrieb mitzuteilen sowie einen entsprechenden Unterlassungsanspruch aufgrund einer Behinderung der Betriebsratstätigkeit durch die Nichtmitteilung bejaht. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2) zurückgewiesen.

Die Gründe:
Dem Betriebsrat steht der geltend gemachte Anspruch aus § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG zu.

Der nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG erforderliche Aufgabenbezug des Auskunftsbegehrens des Betriebsrates bezogen auf die Anzahl und Namen der im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten/diesen gleichgestellten Menschen kann sich aus der geplanten Einberufung einer Wahlversammlung durch den Betriebsrat zur Wahl eines Wahlvorstandes im Vorfeld der geplanten Wahl einer Schwerbehindertenvertretung ergeben (vgl. auch §§ 176, 177 SGB IX, § 1 Abs. 2 S. 1 SchbVWO). Der erforderliche Aufgabenbezug kann sich ferner auch aus § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, § 176 SGB IX aufgrund der gesetzlich statuierten Überwachungs- und aktiven Förderungspflicht schwerbehinderter Menschen vorgelagert zur Ermittlung des Bedürfnisses/der Reichweite von Unterstützungsmaßnahmen ergeben. Es ist hierbei nicht erforderlich, dass der Betriebsrat konkret eine bestimmte spezifische bereits geplante Maßnahme darlegt.

Der Betriebsrat hat bei einem Auskunftsbegehren nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG, soweit sich dieses auf sensitive Daten im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DSGVO bezieht, die ausreichende Gewährleistung angemessener und spezifischer Schutzmaßnahmen darzulegen, wobei dabei ein ausreichendes Schutzkonzept darzulegen ist und die entsprechenden Einzelmaßnahmen einem Spielraum des Betriebsrates unterliegen. Im Übrigen ergibt sich allgemein auch aus § 79a BetrVG eine Verantwortlichkeit des Betriebsrates für die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz.

Der Betriebsrat hatte im vorliegenden Fall einen entsprechenden Aufgabenbezug konkret dargelegt, er hatte insbesondere nicht nur pauschal auf die gesetzlichen Vorschriften verwiesen. Unerheblich war, dass der Betriebsrat nicht abschließend allen genannten Beispielen, etwa Pseudonymisierung, Rechnung getragen hatte. Im Übrigen war darauf zu verweisen, dass zwar der Betriebsrat bei der Verarbeitung personenbezogener Daten den Datenschutz gem. § 79a S. 1 BetrVG zu gewährleisten hat, indes der Arbeitgeber der für die Verarbeitung Verantwortliche bleibt und das Gesetz eine gegenseitige Unterstützung vorsieht (vgl. § 79a S. 1 und S. 2 BetrVG). Über § 79a S.3 BetrVG ist dem Arbeitgeber hier zudem eine eigenständige Kontrollmöglichkeit im gewissen Umfang eingeräumt, was ebenfalls auch nicht zu einer Schutzlosigkeit der schwerbehinderten Menschen führt.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.07.2022 13:57
Quelle: Landesrechtsprechung Baden-Württemberg

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