Otto Schmidt Verlag

Aktuelle Herausforderungen im Umgang mit § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG - Schwerpunkt: IT-Updates und Interimslösungen für die Dauer des Mitbestimmungsverfahrens (Grimm, ArbRB 2022, 177)

In einer digitalen Arbeitswelt erscheint der Anwendungsbereich des Mitbestimmungsrechts bei Einführung technischer Einrichtungen aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nahezu uferlos. Gibt es dennoch Grenzen der Mitbestimmung? Und wie können pragmatische Gestaltungen insbesondere für (Sicherheits-)Updates und die vorläufige Implementierung neuerer Datenverarbeitungs- und IT-Systeme aussehen? Diesen Fragen geht der Beitrag nach und gibt viele konkrete Gestaltungstipps, vor allem für Rahmen-IT-Vereinbarungen.

I. Anwendungsbereich von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG
1. Rechtsprechung des BAG
a) Zweck der Norm
b) Extensive Interpretation des BAG
aa) Keine Erheblichkeitsschwelle
bb) Eignung zur Überwachung
cc) Individualisierbarkeit der Daten
dd) Kurze Eingriffe reichen
c) Umgang mit Sicherheitsupdates, anderen Updates und Systemerweiterungen
2. Vermengung der Mitbestimmung mit datenschutzrechtlichen Fragen
3. Das BetrVG als Innovations- und Modernisierungshemmnis
II. Keine Hilfe durch restriktive Auslegung oder den Gesetzgeber
III. Gestaltung durch IT-Rahmen-Betriebsvereinbarung

1. Informatorische Einbindung der Betriebsräte
2. Interimslösungen für die Dauer des Mitbestimmungsverfahrens
3. Umgang mit Updates und Systemerweiterungen
IV. Fazit


I. Anwendungsbereich von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG

1. Rechtsprechung des BAG

a) Zweck der Norm

§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG will Arbeitnehmer vor unverhältnismäßigen und nicht durch schützenswerte Belange des Arbeitgebers zu rechtfertigende Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts schützen, die mit dem Einsatz technischer Einrichtungen verbunden sein können. Die Norm bezweckt nicht den Schutz vor jeglicher Überwachung, wohl aber vor den besonderen Gefahren, die sich aus dem Einsatz technischer Einrichtungen ergeben.

Nach Fitting 3 hat § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG drei Ziele:

  1. Präventiver Schutz durch Verhinderung unzulässiger Eingriffe bereits im Vorfeld;
  2. Mitbeurteilungsrecht für den Betriebsrat bei der oft schwierigen Ermittlung der Grenze zwischen zulässigen und unzulässigen Eingriffen;
  3. Mitgestaltung im Rahmen zulässiger Eingriffe mittels Durchführung einer an § 75 Abs. 2 BetrVG orientierten Verhältnismäßigkeitsprüfung.

b) Extensive Interpretation des BAG
Maschmann in Richardi fasst plastisch zusammen:
„Durch extensive Interpretation der Nr. 6 erfasst die Rechtsprechung aber praktisch jede Form der automatischen Erhebung, Speicherung oder sonstigen Verarbeitung von Daten, wenn sie Rückschlüsse auf Verhalten oder Leistung der Arbeitnehmer zulassen.“

aa) Keine Erheblichkeitsschwelle
Eine Erheblichkeitsschwelle wird vom BAG ausdrücklich abgelehnt und auch übliche Bürostandardsoftware wird erfasst.

Beispiel
Bereits die automatische Addition manuell eingegebener Daten über An- und Abwesenheiten in Excel führt nach der Rechtsprechung zur Überwachung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeitgeber das Programm zur Summierung der Abwesenheitszeiten seiner Mitarbeiter nutzen will.

Ursprünglich hatte das BAG verlangt, dass die technische Einrichtung in ihrem Kern selbst die Überwachung bewirkt. Inzwischen gilt, dass auch die bloße technische Auswertung von manuell, also nicht durch die technische Einrichtung selbst erhobenen Daten der Mitbestimmung unterliegt. Damit entfällt das Unmittelbarkeitskriterium.

Beraterhinweis
Jedes System erfüllt damit das Merkmal, da es nur noch der Abgrenzung zu einer Überwachung durch menschliches Handeln dient. Ein Ausnahmefall: Die Nutzung von Google-Maps zur Fahrkostenkontrolle ist menschliches Handeln der kontrollierenden Person.

bb) Eignung zur Überwachung
Es genügt – entgegen dem Wortlaut – die objektive Eignung der IT-Einrichtung zur Überwachung. Der Arbeitgeber muss also...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.06.2022 17:55
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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