Otto Schmidt Verlag

ArbG Nordhausen v. 6.4.2022, 2 Ca 768/21

Zur Auslegung einer unwiderruflichen Freistellung

Eine mit dem Kündigungsschreiben ausgesprochene unwiderrufliche Freistellung kann im Fall der Nichteinhaltung der Kündigungsfrist regelmäßig dahingehend ausgelegt werden, dass die unwiderrufliche Freistellung bis zur rechtlichen Beendigung gemäß der Kündigungsfrist gelten soll.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin war beim Beklagten, der eine Werbeagentur betreibt, als Mediengestalterin tätig. Mit Schreiben vom 31.7.2021 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis. Das Kündigungsschreiben hat auszugsweise folgenden Inhalt:

„Kündigung
    Sehr geehrte Frau …
    hiermit kündige ich das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.8.2021. Die Kündigung ist aus betriebsbedingten Gründen leider notwendig. Dies bedauere ich zutiefst.
    Ich stelle Sie hiermit ab sofort unwiderruflich unter Anrechnung auf noch bestehende Urlaubsansprüche und Freizeitausgleichsansprüche bis zum oben angegebenen Beendigungsdatum von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung frei.
    Durch die Freistellung sollen zunächst die noch offenen Urlaubsansprüche und erst anschließend etwaige Freizeitausgleichsansprüche erfüllt werden.“


Gegen diese Kündigung hat die Klägerin Klage erhoben, mit der Maßgabe, dass das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen bis zum 31.10.2021 fortbesteht.

Der Klägerin ging am 10.9.2021 ein Schreiben des Beklagten mit folgenden Inhalt zu:

   „Sehr geehrte Frau …,
    von der ihrerseits gegen uns erhobenen Klage haben wir Kenntnis. Bereits an dieser Stelle teilen wir mit, dass wir den Klageanspruch anerkennen werden. Mithin erwarten wir Sie zum Arbeitsantritt pünktlich am 13.9.2021. (…)“


Die Klägerin erschien fortan nicht mehr zur Arbeit. Nach erfolglosen Abmahnungen kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis am 21.9.2021 außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund. Aufgrund eines zwischenzeitlich eingegangenen Anerkenntnisses des Beklagten erließ das Arbeitsgericht am 21.9.2021 ein Anerkenntnisurteil, in dem festgestellt wurde, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung vom 31.7.2021 beendet worden war, sondern zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum 31.10.2021 fortbestand.

Auch die Klage gegen die außerordentliche Kündigung vom 21.9.2021 war erfolgreich.

Die Gründe:
Der die fristlose Kündigung betreffende Feststellungsantrag ist begründet, da die Kündigung vom 21.9.2021 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis der Parteien daher nicht aufgelöst hat.

Es liegt kein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung vor. Die Klägerin hat nicht unentschuldigt gefehlt, da sie bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.10.2021 unwiderruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt war. Die Klägerin war insbesondere nicht verpflichtet ihre Arbeitsleistung ab dem 13.9.2021 aufgrund der Aufforderung des Beklagten vom 10.9.2021 zu erbringen.

Mit der unwiderruflichen Freistellung verzichtet der Arbeitgeber endgültig und unumkehrbar auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Sie kann nur einvernehmlich wieder aufgehoben werden. Dies folgt daraus, dass es sich bei der unwiderruflichen Freistellung im Regelfall um ein Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss eines Erlassvertrages gem. § 397 BGB handelt, das der Arbeitnehmer konkludent annehmen kann, wobei hinsichtlich des Zugangs der Annahmeerklärung § 151 BGB greift. Das ist vorliegend der Fall. Etwas anderes gilt auch nicht etwa weil die Klägerin gegen die Kündigung vom 31.7.2021 Klage erhoben hat. Dass sie mit der unwiderruflichen Freistellung einverstanden gewesen ist, ergibt sich daraus, dass sie ab dem 1.8.2021 nicht mehr zur Arbeit erschien. Daraus durfte der Beklagte den Schluss ziehen, dass sie das Angebot angenommen hat.

Die Auslegung des Kündigungsschreibens vom 31.7.2021 ergibt, dass die unwiderrufliche Freistellung auch über den fehlerhaft berechneten Kündigungstermin am 30.8.2021 hinausgeht. Der Beklagte hatte die Kündigungsfrist mit seiner Kündigungserklärung vom 31.7.2021 nicht eingehalten. Eine Auslegung des Kündigungsschreibens ergibt allerdings, dass der Beklagte jedenfalls die zutreffende Kündigungsfrist hat wahren wollen. Eine vom Arbeitgeber mit zu kurzer Kündigungsfrist zu einem bestimmten Datum erklärte ordentliche Kündigung, die den Zusatz „fristgemäß zum“ enthält, kann als Kündigung zum richtigen Kündigungstermin ausgelegt werden, wenn es dem Arbeitgeber für den Arbeitnehmer erkennbar wesentlich um die Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist ging und sich das in die Kündigungserklärung aufgenommene Datum lediglich als das Ergebnis einer fehlerhaften Berechnung der zutreffenden Kündigungsfrist erweist. Dies war hier der Fall.

Mehr zum Thema:

Beiträge für die Beratungspraxis
RA FAArbR Dr. Jörg Laber / RAin Stefanie Stanka
Die Freistellung des Arbeitnehmers
Allgemeine Grundsätze, Hinweise zur Vertragsgestaltung sowie Anordnung im Einzelfall
Jörg Laber / Stefanie Stanka, ArbRB 2021, 61

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.05.2022 12:21
Quelle: Online-Verwaltung Thüringen

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