Otto Schmidt Verlag

EuGH v. 12.5.2022 - C-426/20

Leiharbeit: Zur finanziellen Abgeltung für nicht genommenen Urlaub

Die Leiharbeitnehmern gezahlte Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub und das entsprechende Urlaubsgeld muss mindestens der entsprechen, die sie erhalten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Beschäftigungsdauer eingestellt worden wären.

Der Sachverhalt:
Im Oktober 2017 schlossen die beiden klagenden Arbeitnehmer mit dem beklagten Unternehmen Luso Temp Leiharbeitsverträge. Auf der Grundlage dieser Verträge wurden sie im Anschluss für zwei Jahre einem entleihenden Unternehmen überlassen. Mit ihrer Klage begehren die Kläger für diese Zeit Zahlung der Beträge, die als bezahlter Jahresurlaub und Urlaubsgeld geschuldet, aber nicht gezahlt worden waren. Sie sind der Ansicht, dass sich der bezahlte Jahresurlaub und das entsprechende Urlaubsgeld nach der allgemeinen Regelung für bezahlten Jahresurlaub richteten. Die Beklagte ist der Auffassung, dass insoweit die für Leiharbeitnehmer geltende Spezialregelung für bezahlten Urlaub maßgeblich sei. Danach hätten die Arbeitnehmer Anspruch auf weniger bezahlten Urlaub und Urlaubsgeld als wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für denselben Zeitraum und den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.

Das mit der Sache befasste portugiesische Arbeitsgericht fragt sich, ob diese Spezialregelung mit der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit vereinbar ist. Das Gericht meint, dass die Spezialregelung zwischen Leiharbeitnehmern, die einem entleihenden Unternehmen für einen Zeitraum von zwölf oder mehr Monaten oder für einen Zeitraum, der im Laufe eines Kalenderjahres beginne und erst zwei oder mehr Kalenderjahre später ende, überlassen würden, und den Arbeitnehmern, die von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar eingestellt würden, insoweit eine Ungleichbehandlung eingeführt werde, als sich der Anspruch der Leiharbeitnehmer auf bezahlten Urlaub und das entsprechende Urlaubsgeld stets anteilig nach der Dauer ihrer Beschäftigung richte, während die Arbeitnehmer, die von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden seien, unter sonst gleichen Bedingungen in den Genuss der günstigeren allgemeinen Regelung kommen könnten. Zu einer solchen Ungleichbehandlung komme es allerdings nicht, wenn die Dauer der Beschäftigung unter zwölf Monaten liege oder wenn das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Kalenderjahres beginne und im Laufe des folgenden Kalenderjahres ende.

Die portugiesische Regierung macht geltend, dass die Spezialregelung weder die Modalitäten und spezifischen Regeln für die Berechnung des Urlaubs der Leiharbeitnehmer noch die Auswirkungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den Urlaubsanspruch regele. Deshalb komme die allgemeine Regelung zum Tragen, die unabhängig von der Art des Vertragsverhältnisses Anwendung finde, auch auf Leiharbeitnehmer, und hinsichtlich der Berechnung des bezahlten Urlaubs und der Auswirkungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den Urlaubsanspruch besondere Fälle vorsehe.

Die Gründe:
Die Richtlinie steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub und das entsprechende Urlaubsgeld, auf die Leiharbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem entleihenden Unternehmen Anspruch haben, geringer ist als die Abgeltung, auf die ein unmittelbar eingestellter Arbeitnehmer Anspruch hätte.

Der Begriff "wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen" im Sinne der Richtlinie umfasst eine Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub und das entsprechende Urlaubsgeld, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wegen der Beendigung des Leiharbeitsverhältnisses zu zahlen hat. Im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung müssen für Leiharbeitnehmer nach der Richtlinie während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen zumindest die gleichen wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gelten wie diejenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem betreffenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.

Das nationale Gericht wird vorliegend zu prüfen haben, ob dieser Grundsatz eingehalten wird. Bei der Bestimmung der Höhe der Abgeltung, auf die betreffenden Arbeitnehmer Anspruch haben, wird es in diesem Zusammenhang insbesondere zu prüfen haben, ob im vorliegenden Fall - wie die portugiesische Regierung geltend macht - die allgemeine Urlaubsregelung anwendbar ist, da der Ausdruck "anteilig nach der Dauer ihrer Beschäftigung" in Verbindung mit den übrigen Vorschriften der allgemeinen Urlaubsregelung zu sehen ist. Wäre dies der Fall, wäre nämlich kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung festzustellen.

Mehr zum Thema:

  • Kurzbeitrag: BAG: Rechtsfolgen einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung mit Auslandsbezug (ArbRB 2022, 129)
  • Aufsatz: Boemke, Brandt – Wann ist ein Leiharbeitsunternehmen im Land seines Gesellschaftssitzes „gewöhnlich tätig“? (ZFA 2022, 249)
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.05.2022 12:19
Quelle: EuGH PM Nr. 82 vom 12.5.2022

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