Otto Schmidt Verlag

OLG Frankfurt a.M. v. 29.4.2022 - 7 U 150/21

D&O-Versicherung für ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Wirecard AG umfasst vorläufige Deckung für PR-Kosten bis zu einem Sublimit von 100.000 €

Die D&O-Versicherung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Wirecard AG umfasst bei kritischer Medienberichterstattung und auf Grund dessen drohendem karrierebeeinträchtigendem Reputationsschaden auch vorläufigen Deckungsschutz für Public-Relations-Kosten. Dies gilt insbesondere auch für eine kritische Berichterstattung über das strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Der Höhe nach ist der Anspruch aber auf 100.000 € begrenzt.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG. Er nimmt die Beklagte auf Deckung von Public-Relations-Kosten aus einer D&O-Versicherung (Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung) in Anspruch, welche die Wirecard bei der Beklagten für ihre Organmitglieder und Leitende Angestellte abgeschlossen hatte.

Gegen den Kläger wird ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft München I u.a. wegen des Verdachts des bandenmäßigen Betrugs, der Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Verstößen gegen das WpHG geführt. Er befindet sich seit Sommer 2020 in Untersuchungshaft und weist die erhobenen Vorwürfe zurück. Inzwischen ist Anklage gegen ihn erhoben.

Die im Ermittlungsverfahren erhobenen Vorwürfe sind Gegenstand zahlreicher kritischer Medienberichte. Der Kläger beauftragte eine auf Presserecht spezialisierte Kanzlei sowie eine Presseagentur. Die insoweit anfallenden Kosten verlangt er von der beklagten Versicherung ersetzt. Die Beklagte lehnte die Deckung u.a. mit der Begründung ab, dass PR-Kosten nur in Bezug auf eine Berichterstattung über die zivilrechtliche Inanspruchnahme des Klägers, nicht aber in Bezug auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu ersetzen seien.

Das LG wies die u.a. auf Gewährung vorläufiger Deckung für PR-Kosten gerichtete Feststellungsklage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG teilweise Erfolg. Das OLG hielt mit dieser Entscheidung an seiner in dem vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren vertretenen Auffassung fest. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt werden.

Die Gründe:
Der Kläger hat Anspruch auf vorläufige Abwehrkosten. Diese umfassen auch den Ersatz von PR-Kosten, soweit der versicherten Person durch kritische Medienberichterstattung über einen versicherten Haftpflicht-Versicherungsfall ein karrierebeeinträchtigender Reputationsschaden droht. Es kommt nicht darauf an, ob die Berichterstattung sich mit dem Versicherungsfall einer konkreten zivilrechtlichen Inanspruchnahme (Haftpflicht-Versicherungsfall) befasst oder sich auf den durch das Ermittlungsverfahren ausgelösten Versicherungsfall (Verfahrensrechtsschutz-Versicherungsfall) bezieht.

Bei verständiger Auslegung der Versicherungsbedingungen soll gerade Schutz vor existenzieller Beschädigung des Ansehens im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorwürfen gewährt werden. Soweit die Berichterstattung nicht ohnehin im Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung hinzunehmen ist und durch die Einschaltung einer PR-Agentur oder durch gerichtliche Maßnahmen abgewendet oder gemindert werden kann, wird dem Versicherten ausdrücklich umfassender Reputationsschutz zugesagt. Dies umfasst nach den berechtigten Erwartungen des Versicherten insbesondere den Ersatz von PR-Kosten im Hinblick auf eine kritische Berichterstattung über das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, das im Mittelpunkt des medialen Interesses steht. Anderenfalls liefe der Versicherungsschutz leer.

Der Höhe nach ist der Anspruch auf Gewährung von PR-Kosten allerdings auf 100.000 € pro versicherter Person und Versicherungsperiode begrenzt. Das zur Verfügung stehende Grundsublimit von 500.000 € wird je versicherter Person und je Versicherungsfall auf 100.000 € limitiert, um einer vorschnellen Erschöpfung der Versicherungssumme entgegenzuwirken und eine möglichst gerechte Aufteilung im Kreise der Versicherten sicherzustellen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.05.2022 16:03
Quelle: OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 37 vom 29.4.2022

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