Otto Schmidt Verlag

EuGH, C-677/20: Schlussanträge des Generalanwalts vom 28.4.2022

Unternehmensmitbestimmung in einer durch Umwandlung gegründeten SE

Durch die Umwandlung einer deutschen Aktiengesellschaft in eine Europäische Gesellschaft darf der besondere Wahlgang für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsrat nicht beeinträchtigt werden. Dieser Wahlgang ist ein prägendes Element der Regelung über die Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland und kann nicht Gegenstand von Verhandlungen im Rahmen der Umwandlung sein.

Der Sachverhalt:
Im Jahr 2014 wurde die deutsche Aktiengesellschaft SAP in eine Europäische Gesellschaft (SE), die beklagte SAP SE, umgewandelt. Vor und nach der Umwandlung setzt sich der Aufsichtsrat der Beklagten zu gleichen Teilen aus Vertretern der Aktionäre und Vertretern der Arbeitnehmer zusammen. Vor der Umwandlung wurden die Arbeitnehmervertreter jedoch gemäß den deutschen Rechtsvorschriften in zwei getrennten Wahlgängen gewählt, von denen einer der Wahl der Kandidaten der Gewerkschaften vorbehalten war.

Der Umwandlung ging der Abschluss einer Vereinbarung zwischen der Beklagten und einem besonderen Verhandlungsgremium, das die Arbeitnehmer vertrat, über die künftige Arbeitnehmerbeteiligung in der Beklagten voraus. Diese Vereinbarung sieht vor, dass die Gewerkschaften bei Verringerung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder auf 12 weiterhin das Recht haben, Kandidaten vorzuschlagen, für deren Wahl aber nicht mehr in den Genuss eines getrennten Wahlgangs kommen. Als die Beklagte tatsächlich beabsichtigte, ihren Aufsichtsrat auf 12 Mitglieder zu verkleinern, wandten sich die klagenden Gewerkschaften, u.a. IG Metall und ver.di, an die deutschen Gerichte.

Das im Revisionsverfahren mit der Sache befasste BAG hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Es bittet um Auslegung der Richtlinie zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer. Nach dieser Richtlinie muss in der Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer (Beteiligungsvereinbarung) in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das vor der Umwandlung in eine SE bestand.

Das BAG möchte daher wissen, ob der gesonderte Wahlgang für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsrat einer aus der Umwandlung einer Aktiengesellschaft deutschen Rechts hervorgegangenen SE beibehalten werden muss oder ob durch die Aushandlung der Beteiligungsvereinbarung davon abgewichen werden kann.

Die Gründe:
Generalanwalt Jean Richard de la Tour schlägt als Antwort vor, dass die Verhandlungsautonomie des besonderen Verhandlungsgremiums die Durchführung eines getrennten Wahlgangs für die Wahl eines bestimmten, von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Teils der Kandidaten zu Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat nicht beeinträchtigen darf, wenn diese Besonderheit existiert und in dem für die umzuwandelnde Gesellschaft geltenden nationalen Recht zwingend ist.

Was Deutschland und somit den Fall der SAP SE betrifft, ist nach seiner Auffassung der gesonderte Wahlgang für die Gewerkschaftsvertreter unbestreitbar ein prägendes Element der Beteiligungsregelung in Deutschland und kann nicht Gegenstand von Verhandlungen sein.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.04.2022 13:36
Quelle: EuGH PM Nr. 72 vom 28.4.2022

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