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Arbeitsrechtliche Folgen von politischen Betätigungen im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg in der Ukraine - Freund oder Feind von Wladimir Putin? (Kleinebrink, ArbRB 2022, 112)

Der Angriff Russlands auf die Ukraine führt in Deutschland nicht nur zu zahlreichen Demonstrationen, sondern auch zu einem Riss quer durch die deutsch-russische und -ukrainische Community. Es ist damit zu rechnen, dass die politischen Auseinandersetzungen bald auch die Betriebe erreichen. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Autor die individual- und betriebsverfassungsrechtlichen Folgen verschiedener politischer Betätigungen, die im Zusammenhang mit der Invasion stehen.

I. Individualrechtliche Folgen
1. Pflichtverletzungen bei politischer Betätigung „an sich“
a) Grundsatz: Meinungsfreiheit
b) Grenze: Pflichtverletzung bei Störung des Betriebsfriedens
c) Grenze: Pflichtverletzung bei betriebsschädigenden außerbetrieblichen Äußerungen
2. Mit der politischen Betätigung verbundene Pflichtverletzungen
3. Mögliche Sanktionen bei Pflichtverletzungen
4. Kündigung ohne politikbezogene Pflichtverletzung – Die echte Druckkündigung
II. Kollektivrechtliche Folgen
1. Verstoß gegen das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb
2. Folgen von Verstößen
a) Folgen für Arbeitgeber
b) Folgen für den Betriebsrat
3. Kündigung auf kollektiven Druck des Betriebsrats
III. Fazit


I. Individualrechtliche Folgen

Äußern sich Arbeitnehmer im Betrieb zum Krieg in der Ukraine, ist zwischen der politischen Betätigung an sich und den Handlungen zu unterscheiden, die im Zusammenhang mit der politischen Betätigung erfolgen.

1. Pflichtverletzungen bei politischer Betätigung „an sich“
Eine politische Betätigung im Betrieb stellt eine Meinungsäußerung dar. Die Meinungsfreiheit ist durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Allerdings ist dieser Schutz nicht grenzenlos.

a) Grundsatz: Meinungsfreiheit
Nach Art. 5 Abs. 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Aus der großen Bedeutung dieses Grundrechts folgt, dass es auch im Betrieb vollumfänglich gilt.  Dabei besteht der Grundrechtsschutz unabhängig davon, ob eine Äußerung

  • rational oder emotional,
  • begründet oder grundlos ist oder
  • für andere als nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos angesehen wird.

Der Grundrechtsschutz bezieht sich sowohl auf den Inhalt als auch auf die Form der Äußerung. Auch eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht einer Äußerung noch nicht den Schutz der Meinungsfreiheit.

Beispiele
Die von Arbeitnehmern in persönlichen Gesprächen geäußerte Auffassung, der Angriffskrieg von Wladimir Putin auf die Ukraine mache diesen zu einem zweiten Hitler, ist damit ebenso von der Meinungsfreiheit gedeckt wie die mögliche Ansicht anderer Arbeitnehmer, Wladimir Putin sei ein Segen für Russland, da er die Ukrainer „entnazifiziere“.

b) Grenze: Pflichtverletzung bei Störung des Betriebsfriedens
Politische Betätigungen stellen allerdings einen Verstoß gegen die vertragliche Rücksichtnahmepflicht i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB dar, wenn durch sie der Betriebsfrieden gestört wird.  Auf den Erhalt des Betriebsfriedens gerichtete Verhaltenspflichten bedürfen allerdings einer Konkretisierung unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen und grundrechtlichen Gewährleistungen. Politische Gespräche im Betrieb allein stellen aufgrund des Verfassungsrangs der Meinungsfreiheit grds. keine Störung des Betriebsfriedens dar. Negative Auswirkungen genügen damit nicht für die Annahme, ein Arbeitnehmer, der dazu beigetragen hat, habe auch seine Pflicht zur...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.04.2022 09:34
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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