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Berufung vs. Anschlussberufung - Welches Rechtsmittel ist bei Teilobsiegen bzw. Teilunterliegen in erster Instanz angezeigt? (Anton-Dyck/Böhm, ArbRB 2022, 61)

Obsiegt eine Prozesspartei in einem rechtmittelfähigen Rechtsstreit erstinstanzlich nur teilweise, stellt sich die Frage, ob als Rechtsmittel eine Berufung gem. § 64 Abs. 1 ArbGG oder eine Anschlussberufung gem. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 524 ZPO eingelegt werden sollte. Der Beitrag zeigt auf, welche Formalien bei einer Anschlussberufung zu beachten sind, und gibt unter Berücksichtigung denkbarer Fallkonstellationen eine Entscheidungshilfe.

I. Ausgangssituation
1. Regelungsgehalt des § 64 ArbGG
a) Rechtsmittel der Berufung
b) „Angriffsmittel“ der Anschlussberufung
2. Wahlmöglichkeit bei Teilobsiegen bzw. Teilunterliegen
II. Formalitäten der Anschlussberufung
1. Einlegungsfrist
a) Ablauf der Berufungsbeantwortungsfrist maßgeblich
b) Einlegung frühestens nach Berufungseinlegung der Gegenseite möglich
2. Begründungszwang und Begründungsfrist
3. Wirkungsverlust
4. Kostenfolgen
a) Unzulässigkeit der gegnerischen Berufung
b) Erfolglosigkeit oder Rücknahme der Anschlussberufung
c) Rücknahme der gegnerischen Berufung
5. Muster
III. Entscheidungshilfe
1. Prozesstaktische Überlegungen
a) Aufhebung des Verschlechterungsverbots sowohl bei Berufung als auch bei Anschlussberufung
b) Geringes Druckpotential der akzessorischen Anschlussberufung
2. Denkbare Fallgestaltungen
a) Teilweise Stattgabe einer Zahlungsklage
b) Obsiegen des Arbeitgebers nur bzgl. der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung
c) Feststellung der Unwirksamkeit der Arbeitgeberkündigung(en), aber Stattgabe eines arbeitgeberseitigen Auflösungsantrags
IV. Fazit


I. Ausgangssituation

1. Regelungsgehalt des § 64 ArbGG

a) Rechtsmittel der Berufung

Nach § 64 Abs. 1 ArbGG ist unter den Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 ArbGG gegen Urteile der Arbeitsgerichte das Rechtsmittel der Berufung statthaft. Ausgenommen davon sind nur bestimmte formelle Entscheidungen des Gerichts, gegen die nach § 78 ArbGG als Rechtsmittel eine sofortige Beschwerde eingelegt werden kann, wie z.B. bei einer Verfahrensaussetzung nach § 252 ZPO oder bei der Zurückweisung eines Antrags auf Erlass eines Versäumnisurteils nach § 336 Abs. 1 ZPO.

b) „Angriffsmittel“ der Anschlussberufung
Über § 64 Abs. 6 ArbGG finden im arbeitsgerichtlichen Verfahren daneben die zivilprozessualen Vorschriften zur Anschlussberufung Anwendung. Nach § 524 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann sich der Berufungsbeklagte der Berufung des Berufungsklägers anschließen. Nach der Rechtsprechung des BAG handelt es sich dabei nicht um ein Rechtsmittel im eigentlichen Sinn, sondern um einen „angriffsweise wirkenden Antrag innerhalb des fremden Rechtsmittels“.

2. Wahlmöglichkeit bei Teilobsiegen bzw. Teilunterliegen
Eine erstinstanzlich nur teilobsiegende bzw. teilunterliegende Partei hat die Wahl, ob

  • sie das erstinstanzliche Urteil unabhängig vom Prozessverhalten der Gegenseite akzeptiert,
  • sie das erstinstanzliche Urteil nur dann angreifen möchte, wenn dies auch die Gegenseite in Form einer Berufungseinlegung macht oder
  • sie unter den Voraussetzungen von § 64 Abs. 2 ArbGG eigenständig Berufung einlegt.

Entscheidet sie sich für die zweite Alternative, ist die Anschlussberufung das taugliche Rechtsinstrument.

Beraterhinweis
Dem erstinstanzlich voll obsiegenden Kläger, der in der zweiten Instanz neue Ansprüche im Wege der Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2, § 533 Nr. 2 ZPO in das Verfahren einführen oder (lediglich) einen in erster Instanz nicht zum Tragen gekommenen Hilfsantrag zur Entscheidung des LAG stellen möchte, steht ebenfalls das Rechtsinstrument der Anschlussberufung zur Verfügung.

II. Formalitäten der Anschlussberufung

1. Einlegungsfrist

a) Ablauf der Berufungsbeantwortungsfrist maßgeblich

Sofern es nicht um künftig fällig werdende, wiederkehrende Leistungen geht,  muss eine Anschlussberufung gem. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO spätestens bis...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.03.2022 17:58
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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