Otto Schmidt Verlag

BVerwG v. 12.1.2022 - 5 C 6.20

Erreichen des Regelrentenalters schließt Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz nicht aus

Ein schwerbehinderter Mensch kann im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamts für begleitende Hilfen im Arbeitsleben die Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz auch nach Erreichen des Regelrentenalters beanspruchen.

Der Sachverhalt:
Der 1951 geborene Kläger ist blind und mit einem Grad der Behinderung von 100 als schwerbehindert anerkannt. Die Leistungen für eine Assistenzkraft i.H.v. 1.650 € mtl. (22 Wochenstunden), die er für seine selbständige Tätigkeit als Lehrer, Berater und Gewerbetreibender erhielt, erbrachte der beklagte Landeswohlfahrtsverband mit der Begründung, der Kläger beziehe ab dem 1.7.2016 eine Altersrente, nur bis zum 30.6.2016. Den Antrag des weiterhin erwerbstätigen Klägers, die Kosten vom 1.7.2016 bis zum 30.6.2017 weiter zu übernehmen, lehnte er ab.

VG und VGH wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob das BVerwG die Entscheidung des VGH auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Für den Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz als begleitender Hilfe im Arbeitsleben (gem. § 102 Abs. 4 SGB IX a.F.; dem entspricht heute § 185 Abs. 5 SGB IX) ist eine Altersgrenze weder ausdrücklich im Gesetz geregelt noch lässt sie sich diesem - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - im Wege der Auslegung entnehmen.

Der Anspruch setzt zum einen für eine Einordnung als Hilfe im Arbeitsleben nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Regelung nur voraus, dass der schwerbehinderte Mensch einer nachhaltig betriebenen Erwerbstätigkeit nachgeht, die geeignet ist, dem Aufbau bzw. der Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage zu dienen. Zum anderen ist erforderlich, dass tatsächlich Arbeitsassistenzleistungen erbracht werden, die unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsumstände zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile notwendig sind.

Da der VGH - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - zu diesen Voraussetzungen keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen getroffen hat, konnte das BVerwG als Revisionsgericht nicht selbst abschließend in der Sache entscheiden. Die Sache war daher an den VGH zurückzuverweisen.

Mehr zum Thema:

  • Aufsatz: Das europarechtswidrige Einstellungserfordernis der gesundheitlichen Eignung – und die richtige Reaktion (Husemann, ZFA 2021, 341)
  • Aufsatz: Zusatzurlaub für nachweislich schwerbehinderte Menschen (Anton-Dyck/Böhm, ArbRB 2021, 86)
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.01.2022 11:33
Quelle: BVerwG PM Nr. 2 vom 13.1.2022

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