Otto Schmidt Verlag

EuGH v. 13.1.2022 - C-282/19

Diskriminierung italienischer Lehrkräfte im Fach Katholische Religion hinsichtlich befristeter Arbeitsverhältnisse?

Das Erfordernis eines von einer kirchlichen Stelle ausgestellten Befähigungsnachweises für Lehrkräfte im Fach Katholische Religion rechtfertigt bei befristeten Verträgen nicht deren Verlängerung. Es liegt keine Diskriminierung wegen der Religion oder im Hinblick auf die Befristung des Arbeitsverhältnisses vor.

Der Sachverhalt:
Die Kläger (insgesamt 18 Personen) unterrichten seit vielen Jahren an öffentlichen Lehranstalten in Italien katholische Religion. Sie wurden vom Ministerium für Bildung, Universitäten und Forschung in Italien (MIUR) aufgrund aufeinanderfolgender befristeter Verträge eingestellt. Nachdem die Kläger festgestellt hatten, dass sie wegen der Jahresbefristung ihrer Lehraufträge nicht in die ständigen Eignungslisten aufgenommen worden waren und damit die nach italienischem Recht für das Lehrpersonal vorgesehene Einweisung in eine Planstelle nicht hätten in Anspruch nehmen können, erhoben sie beim vorlegenden Gericht Klage, mit der sie im Wesentlichen die Umwandlung ihrer gegenwärtigen Verträge in unbefristete Verträge begehrten.

Das vorlegende Gericht wies darauf hin, dass die italienische Regelung zur Umsetzung der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Schulsektor die Umwandlung aufeinanderfolgender befristeter Verträge in unbefristete Verträge ausschließe, weshalb der Klage nicht stattgegeben werden könne. In Anbetracht dieses Ausschlusses und des Umstands, dass die in Rede stehenden Lehrkräfte im Fach Katholische Religion die nach italienischem Recht vorgesehene Einweisung in eine Planstelle nicht hätten in Anspruch nehmen können, sehe das italienische Recht in Bezug auf diese Lehrkräfte keine Maßnahmen zur Vermeidung des missbräuchlichen Rückgriffs auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge i.S.v. Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung vor.

Daher beschloss das vorlegende Gericht, den EuGH mit der Frage zu befassen, ob die italienische Regelung mit der letztgenannten Bestimmung und mit dem nach dem Unionsrecht bestehenden Verbot der Diskriminierung wegen der Religion vereinbar ist. Außerdem ersuchte es den EuGH um Klarstellung, ob es einen die Verlängerung solcher befristeter Verträge rechtfertigenden "sachlichen Grund" i.S.d. Rahmenvereinbarung darstellt, dass die Lehrkräfte das Fach Katholische Religion nur dann unterrichten dürfen, wenn ihnen von einer kirchlichen Stelle ein Befähigungsnachweis ausgestellt worden ist. Abschließend wollte das vorlegende Gericht wissen, welche Konsequenzen aus einer vom EuGH eventuell festgestellten Unvereinbarkeit der fraglichen Regelung für den Ausgangsrechtsstreit zu ziehen wären.

In seinem Urteil hat sich der EuGH u.a. zur Wirksamkeit von Maßnahmen geäußert, mit denen der missbräuchliche Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Verträge in den nationalen Rechtsordnungen geahndet werden soll.

Die Gründe:
Es liegt keine Diskriminierung wegen der Religion, da sich die Unmöglichkeit der Einweisung der Kläger in Planstellen aus der Jahresbefristung ihrer Lehraufträge ergibt, ohne dass irgendein Zusammenhang mit ihrer Religion besteht. Der Umstand, dass die Kläger nicht in den Genuss einer Umwandlung ihres Vertrags in einen unbefristeten Vertrag kommen können, während dies für Lehrkräfte, die andere Fächer unterrichten und sich in einer vergleichbaren Lage befinden, möglich war, stellt eine Ungleichbehandlung zweier Gruppen befristet beschäftigter Arbeitnehmer dar. Folglich fällt eine solche Konstellation nicht unter Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung, denn dieser verbietet die Ungleichbehandlung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern und Dauerbeschäftigten. Daher darf das vorlegende Gericht die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften nicht auf der Grundlage dieses Paragrafen unangewendet lassen.

Zu Paragraf 5 ("Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch") der Rahmenvereinbarung ist festzustellen, dass diese Bestimmung einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Vorschriften, mit denen der missbräuchliche Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge geahndet werden soll, auf Lehrkräfte im Fach Katholische Religion nicht anwendbar sind, wenn es in der innerstaatlichen Rechtsordnung keine andere wirksame Maßnahme zur Ahndung dieses missbräuchlichen Rückgriffs gibt, was vom vorlegenden Gericht zu beurteilen ist.

Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es im Bereich des öffentlichen katholischen Religionsunterrichts erforderlich ist, für ein stets angemessenes Verhältnis zwischen der Zahl der Beschäftigten und der Zahl der potenziellen Nutzer zu sorgen, was für den Arbeitgeber einen Bedarf an vorübergehenden Einstellungen mit sich bringt. Dass in diesem Bereich Flexibilität besonders vonnöten ist, kann den Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge gem. Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung rechtfertigen. Für diese Bestimmung muss jedoch konkret geprüft werden, ob die Verlängerung solcher Verträge zur Deckung eines zeitweiligen Bedarfs dient und ob diese Möglichkeit nicht in Wirklichkeit herangezogen wird, um einen ständigen Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken. Im vorliegenden Fall wurden mit den verschiedenen befristeten Verträgen zwischen den Klägern und ihrem Arbeitgeber über mehrere Jahre hinweg ähnliche Aufgaben erfüllt, so dass für dieses Arbeitsverhältnis davon ausgegangen werden kann, dass es der Deckung eines Bedarfs gegolten hat, der dauerhaft war. Zu überprüfen ist dies vom vorlegenden Gericht.

Der Befähigungsnachweis, über den die Lehrer im Fach Katholische Religion für ihren Unterricht verfügen müssen, wird nur einmal - und nicht vor jedem Schuljahr, für das ein befristeter Vertrag geschlossen wird - und unabhängig von der Dauer ihres Lehrauftrags ausgestellt. Diese Ausstellung weist keinen Zusammenhang mit Maßnahmen auf, die sozialpolitische Ziele verfolgen. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass der Befähigungsnachweis keinen "sachlichen Grund" i.S.v. Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung darstellt, der die Verlängerung von befristeten Verträgen rechtfertigen würde. Dieser Paragraf hat zwar keine unmittelbare Wirkung und das nationale Gericht ist daher nicht verpflichtet, eine entgegenstehende nationale Bestimmung unangewendet zu lassen; das vorlegende Gericht hat jedoch unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und in Anwendung der darin anerkannten Auslegungsmethoden zu prüfen, ob eine mit der Rahmenvereinbarung vereinbare Auslegung der fraglichen nationalen Bestimmungen möglich ist.

Mehr zum Thema:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.01.2022 11:06
Quelle: EuGH PM Nr. 1 vom 13.1.2022

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