Otto Schmidt Verlag

Aktuell in der ZFA

Arbeitsrechtliche Fragen der Impf- und der Testverweigerung (Giesen, ZFA 2021, 440)

Der Arbeitgeber kann keine Covid 19-Impfpflicht anordnen, jedoch Schutzvorkehrungen treffen, welche die Infektionsgefahr reduzieren oder ausschließen. Dies kann zum Auskunftsanspruch über den Impfstatus führen und so weit reichen, dass Nichtgeimpfte von bestimmten Tätigkeiten ausgeschlossen werden. Zwecks Abwehr von Gesundheitsgefahren sind Testanordnungen zulässig.

I. Impfpflichten und Impfobliegenheiten
1. Keine staatlich angeordnete Covid 19-Impfpflicht
2. Keine arbeitgeberseitige Möglichkeit zur Impfanordnung
a) Arbeitsschutzrechtlicher Kontext
b) Keine Grundlage einer arbeitgeberseitigen Impfanordnung
3. Keine kollektivarbeitsrechtlich angeordnete Impfpflicht
4. Arbeitsschutzrechtliche und infektionsschutzrechtliche Vorgaben zugunsten des Einsatzes geimpfter Personen
a) Mögliche arbeitsschutzrechtliche und infektionsschutzrechtliche Zwänge zum Einsatz Geimpfter
b) Arbeitsrechtliche Konsequenzen einer Impfverweigerung
aa) Kündigung
bb) Entfallen der Vergütungspflicht bei fehlender Einsetzbarkeit eines Impfverweigerers
5. Arbeitgeberfrage nach Impfung
a) Auskunftsanspruch des Arbeitgebers
b) Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Frage nach der Covid 19-Impfung
aa) § 23a IfSG als abschließende Regelung für die Erhebung und Verarbeitung des Impfstatus von Arbeitnehmern?
bb) Zulassung der Frage nach der Covid 19-Impfung nach § 26 BDSG
(1) Anforderungen des § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG
(2) Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 DSGVO
(3) Anforderungen nach § 26 Abs. 3 S. 1 BDSG, Art. 9 Abs. 1 DSGVO
c) Auskunft bei der Einstellung
d) Arbeitsrechtliche Konsequenzen einer Verletzung der Auskunftspflicht
II. Testpflichten
1. Infektionsschutzrechtliche Testpflichten im Arbeitsverhältnis
2. Arbeitsschutzrechtliche Testpflichten
a) Mögliche Rechtsgrundlagen einer arbeitgeberseitigen Testanordnung
b) Datenschutzrechtliche Zulassung arbeitgeberseitiger Testanordnung
aa) Zulassung von Covid 19-Schnelltests nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG
bb) Anforderungen nach § 26 Abs. 3 S. 1 BDSG, Art. 9 Abs. 1 DSGVO
3. Kollektivarbeitsrechtliche Regelung der Testpflicht
4. Arbeitsrechtliche Konsequenzen einer Testverweigerung
III. Zusammenfassung
1. Impfpflichten und Impfobliegenheiten
2. Testpflichten


I. Impfpflichten und Impfobliegenheiten

1. Keine staatlich angeordnete Covid 19-Impfpflicht

Es besteht keine staatlich angeordnete Covid 19-Impfpflicht. Zwar existiert mit § 20 Abs. 6 IfSG die Rechtsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), in der eine Impfpflicht festgesetzt werden kann. Das BMG hat hiervon aber keinen Gebrauch gemacht, und es ist unwahrscheinlich, dass dies geschehen wird.

Jede Covid 19-Impfung bedarf der Einwilligung des Impflings.  Für eine darüber hinaus reichende Impfpflicht wäre nicht nur eine Rechtsgrundlage vonnöten; eine gesetzliche Verpflichtung müsste auch weiteren materiell-rechtlichen Anforderungen der Verfassung genügen. Die Impfung stellt einen erheblichen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützte körperliche Unversehrtheit dar. Das betrifft zum einen den mechanischen Einstich durch die Nadel und zum anderen die Eingabe des Impfstoffs. Der Impfstoff beeinflusst das Immunsystem, was sich am gesteigerten Schutz gegen das Virus zeigt, aber auch an den Impfreaktionen, die in seltenen Fällen die Gesundheit ihrerseits beeinträchtigen. Die gesetzliche Zulassung einer Impfpflicht würde deshalb eine erhebliche allgemeine Gefahrenlage für Leben und Gesundheit erfordern, die nur mittels Zwangs bewältigt werden kann.

Sofern diese Gefahrenlage nicht allgemein ist, sondern von bestimmten gefährdenden Tätigkeiten, insbesondere bestimmten beruflichen Aktivitäten abhängt, gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem Impfling die Wahl zu lassen, entweder auf die Impfung oder auf die gefährdende (berufliche) Aktivität zu verzichten.

Diesem Regelungsmuster entspricht beispielhaft das Masernschutzrecht: Nach § 20 Abs. 9 S. 6, 7 IfSG können Personen, die nicht gegen Masern geimpft sind, insbesondere in Kliniken, ambulanten Behandlungseinrichtungen, Kinderbetreuungseinrichtungen und Flüchtlingsunterkünften (§ 20 Abs. 9 S. 7 i.V.m. § 23 Abs. 3 S. 1, § 33 Nrn. 1-4, § 36 Abs. 1 Nr. 4 IfSG) nicht eingesetzt werden.  Mit anderen Worten: Es besteht zwar keine durchsetzbare primäre Masernimpfpflicht, aber wer nicht geimpft ist, wird von bestimmten gefahrbringenden Tätigkeiten ausgeschlossen.  Ähnlich verhält es sich nach der neuen Sonderregelung des § 23a IfSG.  Sie erlaubt es dem Arbeitgeber in ausgewählten Bereichen des Gesundheitswesens und der Betreuung, den Impf- und Serostatus bei der Einstellung und beim Einsatz von Arbeitnehmern zu erheben und die betreffende Einstellungs- und Einsatzentscheidung hiervon abhängig zu machen. Mit dem „Impf- und Serostatus“ geht die Regelung noch über den Bereich von Covid 19 hinaus; außerdem ist sie (im Gegensatz zu § 20 Abs. 9 S. 7 i.V.m. § 23 Abs. 3 S. 1, § 33 Nrn. 1–4, § 36 Abs. 1 Nr. 4 IfSG) nicht zwingend gefasst, sondern überlässt die Bewertung der Erforderlichkeit fallabhängig dem Arbeitgeber.

Demnach existiert ein generelles Muster, welches eine unmittelbare Impfpflicht vor hohe Hürden stellt, und stattdessen versucht, den Ausschluss nicht geimpfter Personen von bestimmten Tätigkeiten zwecks Lebens- und Gesundheitsschutzes vorzunehmen. Diesem Muster folgt auch die verfassungsrechtliche Diskussion um eine mögliche Covid 19-Impfpflicht: Eine unmittelbare Impfpflicht wird wegen des damit verbundenen unbedingten Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit abgelehnt. Aber auch die „Impfpflicht light“ (oder „mittelbare Impfpflicht“), die sich daraus ergibt, dass nicht geimpften Personen bestimmte Tätigkeiten vorenthalten werden, muss den daraus folgenden mittelbaren Anpassungsdruck berücksichtigen, weshalb sie lediglich unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit zur Bekämpfung von Lebens- und Gesundheitsgefahren zugelassen ist.

2. Keine arbeitgeberseitige Möglichkeit zur Impfanordnung
Damit stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber eine Covid 19-Impfpflicht anordnen oder ob er möglicherweise Nichtgeimpfte zumindest von bestimmten gefährlichen Tätigkeiten ausschließen kann oder muss. Um diese Frage zu klären, bedarf es ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.11.2021 17:24
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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