Otto Schmidt Verlag

Aktuell im ArbRB

Das Betriebsratsmitglied im Homeoffice - Zulässigkeit mobiler Betriebsratsarbeit in Zeiten von „New Work“ (Gaul/Roters, ArbRB 2022, 368)

Das Recht auf mobiles Arbeiten erhöht die Freiheit und Flexibilität der Arbeitnehmer bzgl. der Wahl des Orts der Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung. Im Hinblick auf den Betriebsrat stellt sich jedoch die Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang seine Mitglieder auch ihre Gremienarbeit mobil erbringen dürfen. Der Beitrag stellt sich der Herausforderung, Maßstäbe für die Zulässigkeit mobiler Betriebsratsarbeit zu entwickeln.

I. Ausgangslage bei Freistellung
II. Betriebsratsarbeit und „New Work“

1. Unzulässige Benachteiligung durch Anwesenheitspflicht?
2. Voraussetzung und Schranken der Arbeit des Betriebsratsmitglieds im Homeoffice
a) Praktische Hindernisse
b) Rechtliche Hindernisse
aa) Überwachungspflichten
bb) Geheimhaltungs- und Datenschutzpflichten
3. Reaktionsmöglichkeiten bei unzulässiger Arbeit im Homeoffice
a) (Keine) Sanktionen auf individualrechtlicher Ebene
b) Sanktionen auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene
III. Fortbestand der An- und Abmeldepflichten des Betriebsratsmitglieds
IV. Fazit


I. Ausgangslage bei Freistellung

Gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG ist ein Betriebsratsmitglied unter Fortzahlung seines Arbeitsentgelts von der Pflicht zur Arbeitsleistung zu befreien, wenn und so weit dies nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist. Dabei ist die Arbeitsbefreiung – obwohl die Formulierung des Gesetzes dies nahelegt – nicht von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängig. Nach der bisherigen Sichtweise war mit der Befreiung von der Arbeitspflicht nicht zugleich auch eine Befreiung von der Anwesenheitspflicht im Betrieb verbunden. Vielmehr sollte sich das Betriebsratsmitglied grds. weiterhin im Betrieb aufhalten, um seiner Betriebsratsarbeit nachzugehen.

War das Betriebsratsmitglied nicht vollständig freigestellt (§ 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG), so war die Befreiung von der Arbeitspflicht zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben nach der Rechtsprechung an die Voraussetzung geknüpft, dass sich das Betriebsratsmitglied beim Verlassen seines Arbeitsplatzes abmeldete und bei seiner Rückkehr wieder anmeldete.

Die An- und Abmeldepflicht diente dazu, den Arbeitgeber in die Lage zu versetzen, die betrieblich notwendigen Maßnahmen zur Gewährleistung des Befreiungsanspruchs sowie des störungsfreien Betriebsablaufs ergreifen und koordinieren zu können. Um diesen Zweck zu erfüllen, genügte es, wenn das Betriebsratsmitglied bei der Abmeldung den Ort und die voraussichtliche Dauer der Betriebsratstätigkeit sowie die Wiederaufnahme der arbeitsvertraglichen Tätigkeit mitteilte. Aufgrund dieser Mindestangaben war der Arbeitgeber imstande, die Arbeitsabläufe in geeigneter Weise zu organisieren und Störungen im Betriebsablauf zu vermeiden.

Angaben zum Inhalt oder zur Art der geplanten Betriebsratstätigkeit waren nicht erforderlich, da diese Informationen dem Arbeitgeber keine besseren Koordinierungsmöglichkeiten eröffnen.

Beraterhinweis
Der Anspruch auf Freistellung von der Pflicht zur Arbeitsleistung ist nach bisheriger Rechtsprechung mit der Pflicht des Betriebsratsmitglieds verbunden, sich beim Verlassen des Arbeitsplatzes abzumelden und bei der Rückkehr wieder anzumelden, solange keine dauerhafte Freistellung nach § 38 BetrVG erfolgt ist.

II. Betriebsratsarbeit und „New Work“

1. Unzulässige Benachteiligung durch Anwesenheitspflicht?

Mit Blick auf die stetig fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt sowie die damit einhergehenden neuen Arbeitskonzepte („New Work“), die insbesondere seit Beginn der Pandemie in immer mehr Unternehmen Einzug gefunden haben, wird man diese Grundsätze und Erwägungsgründe kritisch hinterfragen müssen. Denn es dürfte unstreitig sein, dass ein Arbeitnehmer, der zugleich Mitglied des Betriebsrats ist, nur dann und insoweit im Betrieb anwesend sein muss, wie diese Anwesenheit auch ohne die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben erforderlich wäre, falls nicht die Betriebsratsarbeit selbst eine Anwesenheit im Betrieb erforderlich macht. Andernfalls dürfte darin eine Benachteiligung liegen, die nicht mit § 78 Satz 2 BetrVG
vereinbar wäre.

Wenn man sich dies vor Augen führt, dürfte die Einführung der Befugnis zu mobiler Arbeit auch den Arbeitsort der Betriebsratsmitglieder bei Ausübung ihres Amts beeinflussen. Die räumliche Nähe zum Betrieb ist schließlich keine generelle Notwendigkeit. Die bei mobiler Arbeit bestehende räumliche Distanz kann in der Regel durch technische Kommunikationsmittel (Telefon- oder Videokommunikation, E-Mail) überbrückt werden, so dass Betriebsratstätigkeiten in den meisten Fällen weiterhin sinnvoll und effektiv ausgeübt werden können.

Dies gilt nicht nur für die Bearbeitung von betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben durch ein Betriebsratsmitglied alleine, sondern auch im Hinblick auf die Kommunikation mit anderen Betriebsratsmitgliedern, den Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber. Dafür spricht auch § 30 Abs. 2 BetrVG, der es dem einzelnen Betriebsratsmitglied unter den dort genannten Voraussetzungen erlaubt, per Video oder Telefon an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen. Damit sollen die Betriebsratsmitglieder in die Lage versetzt werden, die Betriebsratsarbeit sachgerecht und dem fortgeschrittenen Stand der Digitalisierung entsprechend wahrzunehmen.

2. Voraussetzung und Schranken der Arbeit des Betriebsratsmitglieds im Homeoffice
Hiervon ausgehend kann ein Betriebsratsmitglied betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben nicht nur dann außerhalb des Betriebs wahrnehmen, wenn sich dies...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.01.2023 09:37
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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