Otto Schmidt Verlag

OVG Rheinland-Pfalz v. 8.12.2022 - 2 B 10974/22.OVG

Polizei muss keine Bewerber einstellen, deren Tätowierungen Zweifel an der Verfassungstreue begründen

Ein Bewerber, bei dem wegen des konkreten Inhalts und der Ausgestaltung seiner (nicht sichtbaren) Tätowierung Zweifel an der charakterlichen Eignung bestehen, hat keinen Anspruch auf Einstellung als Polizeibeamter.

Der Sachverhalt:
Der Antragsteller bewarb sich Anfang des Jahres 2022 um die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf als Polizeikommissar-Anwärter. Während des Einstel­lungsverfahrens wurde bekannt, dass auf dem Rücken des Antragstellers über die gesamte Schulterbreite die Worte „Loyalty“, „Honor“, „Respect“ und „Family“ in der Schriftart „Old English“ eintätowiert sind. Die Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz lehnte daraufhin eine Einstellung mit Verweis auf bestehende Zweifel an der charakter­lichen Eignung des Antragstellers für den Polizeidienst ab. In Schriftart, Dimension und Aussagegehalt ähnliche Tätowierungen würden von verschiedenen Rockergruppierun­gen verwendet. Es entstehe der Gesamteindruck, dass der Träger einer solchen Täto­wierung zu einem Ehrenkodex stehe, der sich mit den Werten einer modernen Bürger­polizei nicht in Einklang bringen lasse.

Die daraufhin vom Antragsteller begehrte einst­weilige Anordnung auf vorläufige Einstellung in den Polizeidienst lehnte das VG ab. Das OVG bestätigte diese Entscheidung und wies die Beschwerde des Antragstellers zurück.

Die Gründe:
Die Hochschule der Polizei hat im Rahmen des ihr zukommenden Beurteilungsspiel­raums eine Einstellung des Antragstellers wegen Zweifeln an seiner charakterlichen Eignung ablehnen dürfen. Allerdings ergibt sich ein Pflichtverstoß heutzutage nicht generell aus dem Tragen einer Tätowierung als solcher. Vielmehr hat sich der Dienst­herr an den Anschauungen zu orientieren, die in der Gesellschaft herrschen und darf sich dem Wandel der Zeit nicht verschließen.

Daher kann ein gesellschaftlich weit­gehend akzeptiertes Aussehen nicht schon allein deshalb untersagt werden, weil es der Dienstherr ungeachtet der gewandelten Verhältnisse weiterhin für unpassend, unästhe­tisch oder nicht schicklich hält. Erst recht lässt das Vorhandensein von Tätowierungen nicht (mehr) auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu schließen.

Eine andere Beurteilung kann sich aber aus dem konkreten Inhalt und der Ausgestaltung der Täto­wierung ergeben, und zwar auch dann, wenn die Tätowierung nicht unmittelbar aus Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen besteht. Gerade für die Einstellung in den Polizeidienst sind hohe Anforderungen an die Gesetzestreue zu stellen, denn die Verhinderung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gehören zu den Kernaufgaben eines Polizeibeamten. Daher darf der Dienstherr die Fähigkeit und innere Bereitschaft eines Bewerbers verlangen, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten.

Ob der Antragsteller diese Bereitschaft aufweist, hat der Dienstherr bezweifeln dürfen. Bei der vorzunehmenden Gesamtschau ist mit zu berücksichtigen, dass das Schriftbild der Tätowierung in Gestalt der konkret gewählten Schriftart „Old English“ Ähnlichkeiten etwa zu dem Schriftzug der verfassungsfeindlichen und seit längerem in Deutschland verbotenen Gruppierung „blood and honour“ aufweist. Zudem findet die Wortwahl „Loyalty“, „Honor“, „Respect“ und „Family“ eine weitgehende Entsprechung in Inhalten der ebenfalls zwischenzeitlich zerschlagenen rechtsextremistischen Gruppierung „Oldschool Society“.

Diese Umstände ebenso wie auch die Kombination von gewählter Schriftart und Inhalt der Tätowierung begründen Zweifel daran, ob der Träger für die Wahrung der Freiheits­rechte der Bürger und die Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln uneingeschränkt ein­steht. Als lebensfremd stellt sich die vom Antragsteller zu der Tätowierung abgege­bene Erklärung dar, er habe die konkrete Schriftart „Old English“ u.a. des­wegen ausgesucht, weil er sich privat für die Geschichte des „britischen Imperiums“ interessiere und er dort Verwandtschaft habe. Es stellt sich in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage, warum der Antragsteller dann bei der Ausgestaltung seiner Tätowierung die ameri­kanische statt der englischen Schreibweise („honor“ statt „honour“) gewählt hat. Eine Erklärung hierfür hat er auch im Beschwerdeverfahren nicht gegeben.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung/News:
Kündigung eines Lehrers mit Tätowierungen aus der rechtsextremen Szene wirksam
LAG Berlin-Brandenburg vom 11.5.2021 - 8 SA 1655/20

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.01.2023 15:31
Quelle: OVG Rheinland-Pfalz PM Nr. 21 vom 29.12.2022

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