Otto Schmidt Verlag

Aktuell im ArbRB

Die allgemeine Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) zum 1.1.2023 (Kleinebrink, ArbRB 2022, 364)

Individual- und kollektivrechtliche Konsequenzen - Mit Mustern für eine angepasste Betriebsvereinbarung und für ein Hinweisschreiben

Zum 1.1.2023 wird für alle verpflichtend die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) eingeführt. Das hat auch individual- und kollektivrechtliche Konsequenzen, die der Beitrag aufzeigt. Er wird ergänzt um zwei Muster des Autors zum Download: eine Muster-Betriebsvereinbarung zur Regelung des Verhaltens bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nach Inkrafttreten der eAU (ArbRB 2022, S10) und ein Muster-Hinweisschreiben an Arbeitnehmer zur eAU für betriebsratslose Unternehmen (ArbRB 2022, S9).


1. Verzahnung von Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht
2. Notwendigkeit einer Betriebsvereinbarung
3. Anzeigepflicht bei Beginn oder Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit im Inland

a) Inhalt der Anzeige
b) Adressat der Anzeige
4. Feststellungspflicht
a) Zur Feststellung verpflichtete Arbeitnehmer
b) Erweiterung der Feststellungspflicht
5. Nachweispflicht
a) Geltungsbereich
b) Erweiterung der Nachweispflicht
6. Anzeige der Arbeitsfähigkeit und Vorlage einer Arbeitsfähigkeitsbescheinigung
7. Fazit



1. Verzahnung von Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrech
Beabsichtigt ein Arbeitgeber nach Einführung der eAU, das Verhalten seiner Arbeitnehmer bei einer Arbeitsunfähigkeit in einer Betriebsvereinbarung zu regeln, muss er die Verzahnung von Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht kennen, die bei der eAU entsteht:

Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sind nach § 295 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V verpflichtet, die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten eines Arbeitnehmers an die gesetzlichen Krankenkassen zu übermitteln.

Die Krankenkasse hat dann ihrerseits nach § 109 Abs. 1 SGB IV nach Eingang der Daten eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen. Diese enthält folgende Angaben:

  • den Namen des Beschäftigten,
  • den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit,
  • das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit,
  • die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung und
  • die Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall oder auf den Folgen eines Arbeitsunfalls oder sonstigen Unfalls beruht.

Die vom Arbeitgeber zu beachtenden verfahrensrechtlichen Grundsätze zum Abruf der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sind nach § 109 Abs. 4 SGB IV in der Verfahrensbeschreibung für die Erstattung der Meldung im Rahmen des Datenaustausches elektronische Arbeitsunfähigkeit geregelt. Danach muss der Arbeitgeber seine Berechtigung zum Abruf nachweisen. Voraussetzungen hierfür sind, dass der Arbeitnehmer

  • zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit beim Arbeitgeber beschäftigt war (3.1 der Verfahrensbeschreibung) und
  • dem Arbeitgeber die abzurufende Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer mitgeteilt hat.

Allerdings muss der Arbeitgeber gegenüber der Krankenkasse bei einer Ersterkrankung nur den Tag des Beginns der durch den Arbeitnehmer gemeldeten Arbeitsunfähigkeit und bei einer Folgeerkrankung den Tag nach dem bisher vorliegenden Ende der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit angeben (3.1.2 der Verfahrensbeschreibung).

2. Notwendigkeit einer Betriebsvereinbarung
Ein Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht in Angelegenheiten, die Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen. Das BAG legt dieses Beteiligungsrecht äußerst weit aus. Nicht erfasst sind lediglich Maßnahmen, die das sog. Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer oder in sonstiger Weise lediglich das Verhältnis des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber betreffen. Gleiches gilt für Maßnahmen, die kein Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb regeln. Es muss sich allerdings um einen kollektiven Tatbestand und nicht nur um eine Individualmaßnahme handeln.

Beraterhinweis
Besteht ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht, empfiehlt sich der Abschluss einer Betriebsvereinbarung, da diese nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG im Gegensatz zur Regelungsabrede unmittelbar und zwingend auf das Arbeitsverhältnis einwirkt und deshalb keiner weiteren Umsetzung bedarf.

An ein solches Mitbestimmungsrecht i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist insbesondere dann zu denken, wenn geregelt werden soll,

  • wie der Arbeitnehmer die ihm nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG obliegende Anzeigepflicht erfüllen soll,
  • dass der behandelnde Arzt die Arbeitsunfähigkeit vorzeitig feststellt oder
  • dass Personen, die weiter eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen müssen, dies vorzeitig machen müssen oder
  • dass der Arbeitnehmer nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit die wiedererlangte Arbeitsfähigkeit anzeigen oder sogar eine Arbeitsfähigkeitsbescheinigung vorlegen soll.

Beraterhinweis
Beabsichtigt ein Arbeitgeber im Zusammenhang mit der eAU keine Regelung, die ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats begründet, sollte er dennoch durch ein entsprechendes Hinweisschreiben die Arbeitnehmer umfassend über ...
 

Mehr zum Thema:

  • ArbRB 2022, S9: Kleinebrink, Muster: Hinweisschreiben an Arbeitnehmer zur neuen elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)
  • ArbRB 2022, S10: Kleinebrink, Muster: Betriebsvereinbarung zur Regelung des Verhaltens bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nach Inkrafttreten der Regelungen zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)
  • ArbRB 2022, 87 ff.: Otto/Millgramm, Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - Rechtliche Rahmenbedingungen und praktische Auswirkungen
  • Gesellschaftsrecht-BlogPröpper, Die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab 1.1.2023



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.12.2022 16:19
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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